Eine stille Welt in der lauten

 

Wie der Alltag hinter 1300 Jahre alten Klostermauern aussieht? Zwei Benediktinerinnen haben uns vom Leben unter einem Dach im Stift Nonnberg erzählt.

von Sandra Bernhofer

Sr. Maria Gratia eilt leichtfüßig über die ausgetretenen Marmorfliesen, vorbei an Heiligenbildern und Vollholzmöbeln, die die Jahrhunderte dunkel gemalt haben. Durch die schmalen Gänge des altehrwürdigen Gemäuers hallt das Rascheln ihrer Ordenstracht. „Von hier entkommt man nicht so leicht“, schmunzelt sie. Wobei das wohl keine der 14 Benediktinerinnen im Haus vorhat: Die Klostergemeinschaft im Stift Nonnberg ist eine, die sich durch eine stille, aber tiefe Herzlichkeit auszeichnet. Selbst wenn die Schwestern untereinander beim höflichen „Sie“ bleiben.

Nun sitzt die Ordensfrau, der man ihre 51 Jahre nicht ansieht, neben ihrer Mitschwester Benedicta im Besucherzimmer. Die beiden leben seit 2021 auf dem Nonnberg. Die eine seit Mai, die andere seit Juni. „Es war ein großes Geschenk und eine große Stütze, eine Mitnovizin zu haben“, sagt die Südtirolerin lächelnd. „Umso mehr, als dass wir ja eine ähnliche Geschichte haben“, ergänzt ihre aus Linz stammende Mitschwester.

Der Schritt ins Kloster ist ein radikaler: Auf einen Schlag lässt man alles zurück. Familie, Freund:innen, die Dorfgemeinschaft. Und es ist kein Schritt, der leichtfertig getan wird: Neun Jahre dauert es, bis eine Benediktinerin durch ihr Gelübde offiziell auf Lebenszeit zum Teil der Gemeinschaft wird. Neun Jahre, in denen sie prüft, ob das geweihte Leben der richtige Weg für sie sein könnte, in denen sie hineinwächst in die Routinen und die Gemeinschaft des Klosters. Die Benediktinerinnen gehören zu den monastischen Orden, also zu jenen Ordensgemeinschaften in der katholischen Kirche, deren Mitglieder ein Leben in der Abgeschiedenheit der klösterlichen Klausur führen, mitunter im Schweigen. Wer in ein Benediktinerinnenkloster eintritt, gelobt neben dem klösterlichen Lebenswandel und dem Gehorsam die stabilitas – er bindet sich nicht nur an eine Gemeinschaft, sondern auch an einen Ort.

Dass die beiden Schwestern auf dem Nonnberg heimisch wurden, ist keineswegs selbstverständlich. Beide waren nämlich keine Neuberufenen, sondern zuvor Teil anderer Gemeinschaften: Sr. Benedicta verspürte als Kreuzschwester eine Berufung in der Berufung – die Sehnsucht nach dem Leben in Klausur statt jenem in einem tätigen Orden. Sr. Maria Gratias Eintrittskloster im Südtiroler Eisacktal dagegen wurde aufgelöst, weil zuletzt nur noch drei Ordensfrauen übrig waren. Zu wenige, um Gemeinschaft zu leben. „Das war ein großer Schmerz. Im Stift Nonnberg haben mich alle mit viel Feingefühl aufgenommen und sich bemüht, mir hier eine neue geistliche Heimat zu geben“, erzählt sie. „Was ungemein geholfen hat: die Stundenbücher, die Liturgie, die Art und Weise zu singen – all das war mir vertraut, da das Kloster Säben ja eine Tochtergründung der Abtei Nonnberg war.“

Um 5 Uhr morgens erwacht das Stift zum Leben. Arbeit und Gebet strukturieren den Tag. Nach der Betrachtungszeit vor dem Kreuz in der eigenen Zelle – ein schlicht eingerichteter Raum mit Bett, Schreibtisch, Kasten– finden sich die Schwestern um 6 Uhr zur Laudes zusammen, zu heiliger Messe und Terz um 6.45 Uhr. Um 11.15 Uhr folgt die Sext, die Non um 15.45 Uhr, die Vesper um 16.45 Uhr, die Komplet um 18 Uhr, um 19 Uhr die Vigil. Vormittags und nachmittags bis zur Non arbeiten die Schwestern. Zwischen Vesper und Komplet bleibt Zeit für Bibellesung, geistliche Betrachtung, stilles Gebet. Nachmittags in der Rekreationszeit und in der Mittagspause finden sich die Frauen zusammen, erzählen von Kursen oder Ferien außerhalb des Klosters, feiern Geburtstage oder Namenstage, knüpfen Rosenkränze. Abends oder in der Freizeit schreiben sie Ikonen, üben an der Orgel, lesen Bettlektüre mit Gehalt oder ziehen sich zur Andacht in die Lourdes-Kapelle im Garten oder die eigene Zelle zurück. Um halb zehn heißt es: Licht aus.

Die 14 Schwestern im Haus bringen unterschiedliche Charaktere mit, unterschiedliche Ausbildungen, unterschiedliche Erfahrungen. Ihr Zusammenleben kann man sich wie das einer Familie vorstellen – mit allen Herausforderungen, erzählen Sr. Maria Gratia und Sr. Benedicta. „Man sucht sich seine Geschwister ja auch nicht aus. Aber wir alle haben unsere Berufung von Gott bekommen, wir alle haben das gleiche Ziel. Das ist etwas, das unglaublich stark verbindet.“ Wenn es einmal Reibereien gibt, dann wegen Kleinigkeiten: weil eine das Fenster offen, die andere aber geschlossen haben möchte, weil eine andere Dinge nicht oder falsch aufgeräumt hat, jemand während der Gebetszeiten schief gesungen hat. „Wichtig ist, dass wir wieder zusammenkommen. Schließlich können wir einander nicht ausweichen“, sind sich die beiden einig. Noch vor Sonnenuntergang gelte es Frieden zu schließen, so der Rat des heiligen Benedikt. Und entschuldigt wird sich nicht nur bei der Schwester, die man mit einem bösen Wort verletzt hat, sondern auch bei all jenen, die Ohrenzeuginnen des Vorfalls wurden.

In der Hausgemeinschaft hat eine jede ihre Aufgabe. Sr. Maria Gratia, die in ihrem zivilen Leben Köchin in einem Seniorenheim war, kocht zusätzlich zu den Mahlzeiten Früchte und Gemüse aus dem Klostergarten und der eigenen Landwirtschaft ein, stellt Joghurt und Topfen her. Sr. Benedicta kümmert sich um die gesamte Wäsche und die Ordensgewänder, alle versehen mit Initialen, damit jede Ordensfrau tatsächlich das eigene zurückbekommt.

Die Liebe zum Nonnberg musste in der heute 37-Jährigen erst reifen – nach dem ersten Besuch einen Fußweg zum Hauptbahnhof lang, um genau zu sein. Von da an lebte sie einige Male auf Zeit im Stift mit. „Das war wie heimkommen. Einen solchen inneren Frieden, eine solche Ruhe hatte ich schon lange nicht mehr gespürt.“ Und doch war der endgültige Wechsel aus einem Orden, in dem die Frauen einen Beruf ausüben und es kein Schweigen gibt, ein Kulturschock. „Aber die Mitschwestern haben so viel Geduld und Verständnis. Sie haben mir die Zeit gegeben, in das monastische Leben hineinzuwachsen.“

Wenn die beiden Ordensfrauen erzählen, sprechen sie auch von „der Welt draußen“. Selbst wenn die Klostermauern – sinnbildlich gesprochen – nicht mehr so dick sind wie noch vor einigen Jahrzehnten. „Zum Wählen durfte man hinaus. Für jeden Arztbesuch dagegen musste man ein Ansuchen an den Bischof stellen“, erzählt Sr. Maria Gratia aus den Erinnerungen ihrer Säbener Mitschwestern. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das 1965 geendet hat, sei einiges lockerer geworden. Konkret heißt das: Die Nonnbergerinnen verlassen die Klausur in der Regel nach wie vor nicht. Für Kurse, Arzttermine oder Besorgungen genügt inzwischen aber die Erlaubnis der Äbtissin.

Die Hände der Benediktinerinnen bleiben im Gespräch unter dem Gewand verborgen, nur ab und zu schlüpft eine heraus, um den weißen Schleier glattzustreichen, der das Gesicht einrahmt und die Haare verbirgt. Dann blitzt auch das goldene Band am rechten Ringfinger von Sr. Maria Gratia auf, das für ihren Bund mit Christus steht. Auch Sr. Benedicta hat schon einen Ring einer verstorbenen Schwester ausgesucht, den sie mit ihrer ewigen Profess übernehmen wird. „Weil der Ring schon sehr dünn war, haben ihn die Schwestern zum Goldschmied gebracht“, erzählt sie. „Das gefällt mir an unserer Gemeinschaft: die Großzügigkeit, selbst in den kleinen Gesten.“ Der Tag ihrer Profess am 7. September ist nicht nur für die 37-Jährige, sondern das ganze Haus einer, der voll Vorfreude erwartet wird. Seit Wochen übt Sr. Benedicta ihre Gesänge für den großen Tag ein, hat 150 Tage vor dem Termin begonnen, täglich einen Psalm zu beten. 19 sind an diesem Augustnachmittag noch übrig.