25 Jahre Teil von Apropos
Ein Miteinander vieler Menschen, Ideen und Stimmen – als solches empfindet Chefredakteurin Michaela Gründler die Salzburger Straßenzeitung Apropos. Seit nunmehr 25 Jahren verantwortet und prägt sie die Entwicklung der Zeitung von einem ursprünglich belächelten zu einem mehrfach prämierten Qualitätsmedium. Warum das nur miteinander funktioniert, was ihr das Rüstzeug für diese Aufgabe gibt und welche Visionen sie für die Zukunft von Apropos hat, erzählt sie in diesem Jubiläums-Interview.
Titelinterview mit Chefredakteurin Michaela Gründler
von Monika Pink
Frau Gründler, wie kam es zum Schwerpunktthema „miteinander“ für diese Ausgabe?
Michaela Gründler: Normalerweise sammeln wir unterm Jahr spannende Begriffe, bei denen wir uns denken, da könnten gute Unterthemen hineinpassen. Diesmal war es anders: Wir wussten, dass es anlässlich meines 25-Jahr-Jubiläums bei Apropos ein Titelinterview mit mir geben wird. Außerdem war zum Internationalen Tag des Angelman-Syndroms schon ein Beitrag darüber geplant, wie Familien und Gesellschaft mit Behinderung umgehen. Und dann haben wir in der Redaktion gemeinsam überlegt und beschlossen: „Miteinander“ ist doch ein hervorragendes Thema für ein Vierteljahrhundert Straßenzeitungs-Rückblick!
Warum finden Sie, dass sich „miteinander“ so gut für einen Apropos-Rückblick eignet?
Michaela Gründler: Eine Straßenzeitung ist ein Universum, das auf vielen Ebenen entsteht: Zuerst muss jemand die Idee haben, eine Straßenzeitung zu gründen, in unserem Fall war das vor 26 Jahren unsere Trägerorganisation Soziale Arbeit gGmbH. Dann braucht es Leute, die die Idee umsetzen: ein Redaktionsteam und jemanden für den Vertrieb. Und dann natürlich die wichtigsten Personen, die es betrifft, nämlich die Verkäuferinnen und Verkäufer. Dass man sie findet, dass sie die Zeitung auch verkaufen wollen.
Aber das ist ja nur der Anfang …
Michaela Gründler: Genau. Dann schaut man, wie man die Zeitung dauerhaft gestalten kann. Dafür braucht es viele freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Beiträge und Fotos liefern, Menschen, die mit Inseraten in die Zeitung investieren, und natürlich Fördergeber wie das Land Salzburg. Und es braucht die Leute, die die Zeitung kaufen und lesen.
Darum sind sehr viele Menschen in Salzburg daran beteiligt, dass es Apropos schon so lange gibt. Miteinander heißt für mich aber auch, dass diejenigen, die die Zeitung noch nicht von uns kaufen und lesen, von uns erfahren.
Sie sind seit 25 Jahren dabei, 22 davon als Chefredakteurin. Was ist Ihr Anspruch an die Zeitung?
Michaela Gründler: Straßenzeitung funktioniert auf zwei Ebenen: der soziale Akt des Kaufens, weil ich etwas Gutes tun und den Verkäufer oder die Verkäuferin unterstützen möchte. Zugleich – und das ist unser Anspruch – möchten wir, dass die Leute etwas Gutes zu lesen haben und die Zeitung auch ein weiteres Mal kaufen. Inhaltlich ist es uns wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und zu zeigen: Wie geht es Menschen, die arm sind? Und zwar ohne in Soziallarmoyanz zu versacken, sondern um zu vermitteln: Ja, es gibt Krisen. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer. Und so wird Apropos-Lesen auch ein bewusster Akt, um Nächstenliebe und Verständnis für die anderen herzustellen. Denn erst, wenn man über jemand anderen erfährt, kann man auch Mitgefühl zeigen oder ist bereit, sich zu engagieren. So entsteht durch die Zeitung ein Zueinander und ein Miteinander, das Verbindung schafft – auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Glauben Sie, spielt das Miteinander bei einer Straßenzeitung eine größere Rolle als bei kommerziellen Medien?
Michaela Gründler: Unbedingt. Dadurch, dass die Verkäuferinnen und Verkäufer bei uns hereinkommen und sehr viel Interaktion mit ihnen besteht, sind wir mit unseren Texten immer direkt bei den Menschen. Auch in der Zeitungsplanung beziehen wir sie mit ein, indem wir die Themen in der Schreibwerkstatt besprechen. Wir berichten unter dem Titel „intern“ monatlich, wie es uns hinter den Kulissen in Redaktion und Vertrieb geht. Auch dass unsere Autor:innen immer mit Steckbriefen vorgestellt werden, in denen sie etwas Persönliches preisgeben, ist nicht zu unterschätzen. All das macht uns nahbar und hat eine große Wirkung. Kommerzielle Medien haben unterschiedliche Ausrichtungen, die auch bestimmen, wie stark das „Menschelnde“ vorkommt. Ich finde, bei uns ist eine ganz starke menschliche Komponente vorhanden. Das spiegelt sich auch in der Zeitung wider.
Inwiefern?
Michaela Gründler: Wir bringen sehr viel über unsere Verkäuferinnen und Verkäufer. Im Rahmen der Schreibwerkstatt schreiben sie eigene Beiträge, das ist eine bedeutende Sprachrohr-Funktion. In den Porträts oder auf der Rezeptserie machen wir die Menschen hinter der Armut sichtbar: Leute, die kochen, die Familie haben, die Interessen und Hobbys nachgehen. Denn das ist schließlich das Wichtigste für jeden Menschen: gesehen zu werden, in eine Beziehung mit anderen zu treten und Anerkennung zu bekommen. Es gibt zahlreiche Verkäuferinnen und Verkäufer, die ihre Stammkundschaft haben. Das sind richtige Beziehungsinseln, wo sich Menschen, die die Zeitung kaufen, um ihre:n Apropos-Verkäufer:in kümmern.
Wann war für Sie in all den Jahren, in denen Sie schon dabei sind, das Miteinander am stärksten spürbar?
Michaela Gründler: Immer dann, wenn wir alle zusammengekommen sind: Verkäuferinnen und Verkäufer, freie Mitarbeitende, Leser:innen, das Team, zum Beispiel bei unseren Jubiläumsfesten. Wir haben einige Buchprojekte gemacht, wo Verkäuferinnen und Verkäufer eingeladen waren zu schreiben, und dazu gab es immer Lesungen an den verschiedensten Orten. Zuletzt das großartige Projekt im Hotel Sacher im Vorjahr. Oder auch früher bei den Weihnachtsfeiern mit den Verkäuferinnen und Verkäufern. In den Momenten, wo man die Menschen und die Begegnung spürt, habe ich das Miteinander am intensivsten erlebt.
Gab es auch Momente, in denen Sie sich mehr Miteinander gewünscht hätten?
Michaela Gründler: Ich neige dazu, dass ich ein Mensch bin, der sagt: Das schaff ich schon. Da bin ich ein bisschen Einzelkämpferin. Ich bin die einzige Vollzeitkraft, ansonsten haben wir nur Teilzeitkräfte im Team. In der Redaktion hat es Phasen gegeben, wo ich monatelang allein war. Ich bin nicht darauf gekommen, dass ich auch um Hilfe bitten könnte, weil ich mir gedacht habe: Ah, das kriegst du schon hin. Und so habe ich öfters auch meine eigenen Grenzen überschritten und war erschöpft.
Wie sorgen Sie persönlich für ein gutes Miteinander im Apropos-Team?
Michaela Gründler: Ich fördere gerne, ich ermutige gerne und ich lobe gerne. Und ich nehme nichts für selbstverständlich. Wenn mir Dinge auffallen, die ich nicht als selbstverständlich erachte, habe ich das Bedürfnis, mich zu bedanken und meine Wertschätzung zu zeigen. Ich versuche alle einzubinden und Gemeinschafts-entscheidungen herbeizuführen. Natürlich habe ich die Letztverantwortung, aber wenn die Mehrheit anderer Meinung ist, dann achte ich darauf und nehme die Stimmen aller mit hinein. Mir ist in meiner Führung wichtig, dass mein Team einen sicheren Rahmen hat, um seinen Job gut und selbstständig machen zu können, dass es Dinge ausprobieren kann und dass sehr viel möglich ist. Und dass alle wissen: Ich bin da, wenn es nötig ist. Aber ich pfusche ihnen nicht drein.
Woran merken Sie, dass das Miteinander funktioniert?
Michaela Gründler: Wir sind täglich in Kontakt und ich spüre, wenn etwas nicht stimmig ist. Dann kann ich es ansprechen, weil wir eine vertrauensvolle Basis im Umgang haben. Ich sehe aber auch an den „intern“-Zeitungsbeiträgen von Verena, Judith, Julia und Michael, wie es ihnen geht. Ich merke es an der Begeisterung, an den guten Ideen und am Einsatz bei den Projekten. Und das gibt mir die Möglichkeit, mich jetzt auch selbst einmal herauszunehmen und mir eine Auszeit zu gestatten, weil das Team mir Dinge abnimmt und sie gut bewältigt. Als Führungskraft habe ich schon viele Höhen und Tiefen erlebt und sehe es nicht als selbstverständlich an, dass das Team jetzt so super zusammenpasst.
Sie verbinden bei Apropos schon seit 25 Jahren Journalismus und soziales Engagement. Was gab Ihnen das Rüstzeug, so gut mit diesen unterschiedlichen Welten umzugehen?
Michaela Gründler: Das Gastgewerbe! Meine Eltern hatten ein Lokal in Linz, wo ich immer wieder mitgeholfen habe. Da lernst du, mit den verschiedensten Menschen umzugehen und auszugleichen, und du hast immer im Blick: Wer braucht gerade was? Meine Eltern waren sehr sozial engagiert, mein Vater als ehrenamtlicher Chorleiter, meine Mama im Kirchenvorstand. Zu Weihnachten haben sie oft einsame Gäste aus dem Lokal zu uns nach Hause eingeladen. Diese menschliche Bandbreite war mir also vertraut. Zu Beginn hatten wir bei Apropos viele österreichische Verkäufer:innen, einige mit Alkoholproblem, und ich habe mir gedacht: Eigentlich ist das die logische Fortführung der Gäste meiner Eltern!
Und abgesehen vom Elternhaus?
Michaela Gründler: Ich habe Geisteswissenschaften studiert, Germanistik und Publizistik, und den Geisteswissenschafter:innen sagt man ja nach, dass sie sehr lösungsorientiert und vernetzt denken können. Das kommt mir zugute. Und ich merke, wenn es kritisch wird, dann laufe ich zur Höchstform auf. Ich habe einen großen Ehrgeiz, Dinge auch zu schaffen. Ich schaue genau hin, ich höre genau zu, ich höre gerne zu und ich kann es auch aushalten, wenn es jemandem nicht gut geht. Weil wenn man das nicht aushält, wenn man zu stark reinkippt in das Mitleid, dann bringt das niemandem was – weder der Person, der es nicht gut geht, noch mir, die ich gerade am Zuhören bin. Es geht um Empathie und mitfühlende Distanz.
Hätten Sie sich jemals gedacht, so lange bei Apropos zu bleiben?
Michaela Gründler: Nein, ich bin selbst erstaunt! Am Anfang gab es diesen Rechtsstreit um den Namen Asfalter und ich habe mir gedacht: Ich bin gespannt, wie lange es die Zeitung überhaupt noch gibt. Es war von Anfang an eine Wackelgeschichte. Ich hatte schon vor, noch woanders zu arbeiten. Aber dann war der Namensstreit gelöst, ich habe die Leitung angeboten bekommen, und mit dem Thema Leitung und Führung war ich neben den operativen Dingen ausreichend beschäftigt. Ich bin ein begeisterungsfähiger Mensch und brauche immer wieder Abwechslung. Genau das kann ich bei Apropos ausleben: Die Konstante ist die Zeitung, aber rundherum gibt es die vielen Projekte, wo ich etwas Neues entstehen lassen kann. Ich erlebe das in meinem Job, was andere erleben, wenn sie alle zwei Jahre Job wechseln.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Michaela Gründler: Auf unsere zahlreichen Preise und Auszeichnungen. Gerade für eine Straßenzeitung sind Preise unheimlich wichtig, damit wir als Medium ernst genommen werden. Der erste Preis, den wir erhalten haben, war der René-Marcic-Preis, ein hochkarätiger Journalismuspreis. Das war so eine Aufwertung für uns! Es folgten noch weitere und wir freuen uns immer sehr darüber. Nicht, weil wir so eitel sind, sondern weil es auch ganz viel mit unseren Verkäuferinnen und Verkäufern macht: dass sie ausgezeichnet werden für eine Tätigkeit, die in der Gesellschaft in der Regel nicht so anerkannt ist. Dass genau die vor den Vorhang geholt werden, die sonst die Erfahrung machen, nicht so gern gesehen zu sein. Diese Wertschätzung bedeutet ihnen unheimlich viel.
Zum Stichwort, als Medium ernst genommen werden: Haben Sie da im Laufe der Zeit eine Veränderung erlebt?
Michaela Gründler: Ich kann mich noch erinnern, dass mich meine Journalismus-Kolleg:innen in der Anfangszeit gefragt haben: „Wann fängst du endlich bei einer gescheiten Zeitung an?“ Straßenzeitungen haben damit zu kämpfen, dass Menschen, die sie nicht kennen, Vorurteile haben. Sie glauben, dass da sicher das ganze Leid der Welt versammelt ist, die Zeitung einen runterzieht und nicht gut zu lesen ist. Als ich die Leitung übernommen habe, war mein Qualitätsanspruch, dass die Leute Apropos nicht nur kaufen, weil sie was Gutes tun wollen, sondern weil sie es auch gerne lesen. Jahre später habe ich es extrem befriedigend gefunden, als zwei Journalisten-Kollegen zu mir gesagt haben: „Du, falls du jemals aufhörst, gib mir bitte Bescheid. Ich hätte gerne deinen Job.“
Und außerhalb der Journalismusbranche?
Michaela Gründler: Unlängst habe ich mich sehr gefreut, weil ich im Kaffeehaus war und das aktuelle Apropos im Zeitungsständer bei allen anderen Zeitungen gehängt ist. Früher habe ich immer heimlich das Apropos zu den Zeitungen dazugeschummelt und bei meinem nächsten Besuch war es wieder weg. Und jetzt sind wir quasi ganz offiziell in diesem Zeitungsständer vertreten. Ich merke es auch, wenn ich für Projekte Sponsor:innen oder Inserent:innen suche. Da ist ein großes Wohlwollen da. Namhafte Betriebe und Institutionen kommen mit Projektideen auf uns zu. Es ist einfach eine große Bereitschaft da, zu unterstützen und zu helfen, auch von privater Seite, wenn zu Weihnachten großzügige Spenden für die Verkäufer:innen kommen. Das macht mich sehr stolz.
Was ist Ihre Vision für die kommenden Jahre?
Michaela Gründler: Die Zeitung ist erwachsen geworden und jetzt geht es darum, auf eine andere Ebene zu kommen. Ich glaube, es braucht noch mehr Bewusstseinsarbeit. Ich möchte noch mehr Menschen die Themen Armut, Ausgrenzung und fehlende Teilhabe erfahren lassen – auf eine Art und Weise, in der sie sich gern damit auseinandersetzen. Insofern sind wir immer offen für Projektideen und Kooperationen. Ich wünsche mir, dass wir im Bildungsbereich noch stärker verankert werden, sei es in Form von Stadtspaziergängen oder dass Verkäufer:innen in Schulklassen gehen oder dass wir Unterrichtsmaterial zum Thema Armut gestalten. Diese Weiterentwicklung ist mir wichtig.
Haben Sie auch einen ganz konkreten Wunsch?
Michaela Gründler: Seit heuer verfolgt mich immer wieder der Gedanke: Es wäre toll, wenn die Straßenzeitung einmal die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen halten würde. Das wäre tatsächlich Bewusstseinsarbeit über die Grenzen hinaus!