„Ungewissheit ist nichts, was mich ängstigt“
Sie ist Bar-Besitzerin, Beraterin, Festivalgründerin und Jazz & The City-Intendantin. Tina Heine pendelt seit sechs Jahren zwischen Hamburg und Salzburg und zeigt, dass im Unterwegs-Modus vieles möglich ist. Im Apropos-Gespräch erzählt sie von der Faszination des Ungewissen, ihrem Faible für Improvisation und warum sie kulturell Salzburg Hamburg vorzieht.
Titelinterview mit Jazz & The City-Intendantin Tina Heine
von Chefredakteurin Michaela Gründler
Was bedeutet für Sie unterwegs sein?
Tina Heine: Grundsätzlich bin ich immer in einem Unterwegs-Modus. Wenn jemand fragt: „Wo möchten Sie in fünf Jahren sein?“, antworte ich immer: „Das wäre das Schlimmste, wenn ich das heute schon wüsste.“ Ich mag diese Ungewissheit, die mit dem Unterwegs-Sein verbunden sein kann.
Was fasziniert Sie am Ungewissen?
Tina Heine: Die Ungewissheit sorgt dafür, dass ich genauer hinhöre und hinschaue, dass ich mich nach Orientierungspunkten umsehe und dass ich offen bin, wenn etwas hereinkommt, das nicht geplant ist. Ungewissheit ist nichts, was mich ängstigt. Ich bin ein zutiefst zuversichtlicher Mensch, obwohl ich mit sehr vielen Ungewissheiten aufgewachsen bin. Meine Eltern hatten oft kein Geld und wussten manchmal nicht, wie sie die nächste Miete zahlen sollten. Aber es gab immer die Erfahrung: Es geht weiter – allerdings vielleicht anders, als man sich das vorgestellt hat.
Wie gehen Sie mit Ungewissheit um?
Tina Heine: Nur weil ich Ungewissheit mag, heißt das nicht, dass ich nichts plane. Ich plane und projiziere sehr viel in die Zukunft. Ich trödle dabei nicht in den Tag hinein nach dem Motto „Oh, mal schauen, was heute kommt“. Fakt ist jedoch, dass ich oft den Ausgang meiner Planungen nicht kenne. Ich habe aber ein Grundgefühl von Zuversicht in allem, was ist. Ob beruflich oder privat.
Was gibt Ihnen Zuversicht?
Tina Heine: Ich habe ein großes Vertrauen in Menschen. Man muss sich richtig viel Mühe geben, um mir zu zeigen, dass man es nicht gut mit mir meint. Wenn ich dem anderen das Gefühl vermittle, dass ich glaube, dass er gut ist, dann ist das ein Vertrauensvorschuss, aus dem viel entsteht. Dieses positive Menschengefühl gibt mir Zuversicht – selbst wenn ein Festival ausfällt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich die Dinge, die ich tue, nicht ernst nehme oder mich nicht überall mit Vollblut hineinstürze. Ich respektiere einfach die Vergänglichkeit des Lebens. Natürlich will ich nicht, dass meine Bar in Hamburg, die ich seit 25 Jahren habe, kaputtgeht bei Covid und meine Mitarbeiter ihre Jobs verlieren. Meine Mitarbeiter haben häufig mehr Ängste als ich, dabei würden sie mit 2.000 Euro Schulden rausgehen und ich mit 100.000. Ich denke mir jedoch: „Dann kommt etwas anderes. Und es geht weiter. Noch viel schöner.“ Vielleicht würde der Koch, nachdem der Laden pleitegeht, endlich Gitarre spielen.
Sie haben 2010 das Hamburger Elbjazz-Festival gegründet, organisieren seit sechs Jahren Jazz & the City, haben im Juli das neu ins Leben gerufene Zwischenräume-Festival produziert und werden 2021 mit dem Architekten Theo Deutinger das Festival SUPERGAU für zeitgenössische Kunst im Flachgau kuratieren. Weshalb liegen Ihnen Festivals so am Herzen?
Tina Heine: Nun, ich kam zu den Festivals durch den Jazz. Bei den Jazzkonzerten, die in meiner Hamburger Bar „Hadleys“ veranstaltet wurden, habe ich erfahren, wie schwer es als Jazz-Musiker in Hamburg ist, vor größerem Publikum aufzutreten, weil diese Musik ein Schattendasein führt. Zu den wenigen Jazzclubs kamen immer dieselben 30 Menschen. Bei mir in der Bar war das anders. Die Leute fanden es cool, in einer Szene-Bar zu einem Jazzkonzert zu gehen. Dann habe ich mir gedacht: Wenn man das in „groß“ übersetzt, dann müsste das doch auch funktionieren. Ziel war, den Menschen zu zeigen, dass sie Jazz lieben, auch wenn sie das selber gar nicht wissen. Mir schwebte ein Jazz-Festival im Hafen vor mit Konzerten auf Schiffen, unter Kränen, mit der ganzen Industrie-Kulisse. Ich hatte keine Ahnung von Festivalorganisation, Marketing, Pressearbeit oder Sponsorsuche, doch ich habe mich mit einer Mitstreiterin auf den Weg gemacht: Konzept geschrieben, Leute angerufen, meinen Schwager kontaktiert, der im Schiffbau ist: „Kennst du den Typen von der Werft? Kann ich dem etwas erzählen? Ich will ein Wochenende voller Jazz, zehn Bühnen, in der Stadt, am Hafen, und Schiffe sollen die Leute hin- und herbringen!“ Daraus ist 2010 das Elbjazz Festival entstanden. Im ersten Jahr hatten wir 16 Bühnen, 30 Bars und 8.000 Besucher. Dort habe ich gelernt, dass gute Kunst oft eine andere Art der Vermittlung braucht und dass Festivals große Kommunikationsräume sind, über die man viel bewegen kann. Ganz egal ob mit Jazz, Kunst, Film oder anderem.
Wie haben Sie es als anfängliche One-Woman-Show geschafft, ein Riesen-Jazzfestival auf die Beine zu stellen?
Tina Heine: Ich glaube, dass ich ansteckend leidenschaftlich bin und Kraft und Zuversicht ausstrahle. Daher bin ich nicht >> lange eine One-Woman Show geblieben. Ich bin zwei Jahre lang mit meiner Elbjazz-Idee durch die Stadt gelaufen und niemand, der mir über den Weg lief, konnte mir entgehen. Es ist meistens so: Wenn du selbst diese Begeisterung hast und eine begeisterte Rückmeldung bekommst, wirst du noch stärker. Es ist wie ein Organismus, der wächst und sich permanent multipliziert. Ich habe so viel Zusammenarbeit und Unterstützung erfahren: Menschen, die Geld investiert haben, Konzertveranstalter, Festivalpromotion- oder Soundfirmen, die an Bord gekommen sind, sowie tolle Mitarbeiter*innen. Ich könnte alles, was ich mache, ja gar nicht machen, wenn ich nicht so viele tolle Menschen um mich herum gehabt hätte und habe.
Und dann hat Salzburg angefragt bei Ihnen wegen der Festivalintendanz von „Jazz & The City“. …
Tina Heine: Ich hatte ursprünglich nicht vor, weitere Festivals zu organisieren. Aber ich fand es sehr spannend, herauszufinden, wie ich die Erfahrungen, die ich in Hamburg gesammelt habe, in Salzburg anwenden könnte: Nämlich ein Festival als groß angelegten Kommunikationsanlass zu denken und nicht als Konsumort. Bei diesem Zusammenspiel von Stadt und Festival sind viele Menschen unterwegs, die Geschichten und Botschaften erzeugen und weitererzählen. Es kommen Künstler aus der ganzen Welt mit ihren Erfahrungen. Es ist dabei egal, ob sie aus Buenos Aires kommen, aus London oder aus einer Kleinstadt. Das Leben verläuft nirgends glatt. Mich interessiert: Wie wird damit umgegangen? Welche Räume gehören wem? Kann man sich das Leben noch leisten? Welche Rolle spielt die Kunst in den Städten? Das habe ich zum Anlass genommen, ein Format, das ich auch in meiner Bar habe, zu Jazz & The City zu bringen, nämlich „out of the box“. Dort bringe ich Künstler zusammen mit Menschen aus der Stadtplanung, der Architektur oder mit einem Schuhmacher oder Chefarzt.