Scheitern ist das Gegen-Teil von Erfolg
“Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen”, wird der irische Schriftsteller James Joyce zitiert. So sieht das auch Aleksandra Nagele, Kommunikationsprofi aus Salzburg. Im Interview mit APROPOS spricht sie über den möglichen Mehrwert von Scheitern und ihre persönlichen Erfahrungen damit. Sie macht sich Gedanken darüber, was sich in unserer Gesellschaft in Bezug auf den Umgang mit Fehlern ändern sollte und erzählt von den Fuckup Nights, die sie vor rund vier Jahren nach Salzburg brachte. Scheitern und dessen Mehrwert stehen bei diesen Veranstaltungen im Mittelpunkt.
Titelinterview mit Aleksandra Nagele
von Eva Daspelgruber
Frau Nagele, hat Scheitern einen Mehrwert?
Aleksandra Nagele: Ja, ich glaube schon. Und wir können es ohnehin nicht verhindern. Es passiert uns allen entlang des Lebens immer wieder. Ich glaube, wenn wir mutig sind und uns trauen hinzuschauen, dann gibt es Entwicklungschancen im Scheitern. Ganz oft liest und hört man, dass sich daraus Innovationen entwickeln sollen, dass Neues entsteht, und dass Ideen durch das Scheitern entstehen sollen. Das ist ein schöner Nebeneffekt. Ich glaube aber, dass es nicht notwendigerweise immer Erfolgschancen sind, die sich daraus ergeben. Man ist nicht gescheitert und dann wird man automatisch erfolgreich, sondern es sind Erkenntnischancen, die sich daraus ergeben.
Denken Sie, dass Scheitern wirklich immer einen Mehrwert hat?
Aleksandra Nagele: Ich glaube, das kann man nicht pauschal sagen. Aber ich denke, es ist es wert, jedes Scheitern anzuschauen und daraufhin abzuklopfen, ob ein Wert für mich drinnen ist. Manchmal ist ist es einfach “shit happens”, manchmal ist es Schicksal und manchmal muss man das einfach belassen und dann ist es auch gut. Aber ich glaube, es zahlt sich aus, jedes Scheitern anzuschauen und daraufhin zu prüfen, ob es einen Mehrwert hat.
Was verstehen Sie unter Scheitern? Wie definieren Sie das für sich?
Aleksandra Nagele: Für mich passiert Scheitern vor allem dann, wenn ich Erwartungen nicht erfülle. Damit meine ich gar nicht primär Erwartungen, die andere an mich haben, sondern Erwartungen, die ich selber an mich habe.
Wie sind Sie selbst schon einmal gescheitert?
Aleksandra Nagele: Einmal habe ich als Freelancer für eine Firma gearbeitet und habe Texte geschrieben. Sie wollten immer mehr und mehr von mir und haben mich in Projekte eingebunden. Und ich bin halt so ein Mensch, der immer Vollgas gibt, immer 150 Prozent. Am Ende des Monats habe ich dann eine Rechnung geschrieben und dabei festgestellt, dass ich viel mehr Stunden aufgewendet habe als das, was wir grob im Vorhinein ausgemacht hatten. Ich habe dann der Geschäftsführung gesagt, dass ich leider so viele Stunden gebraucht habe, obwohl das nicht in ihrem Budget war und habe sie auch gefragt, wie wir damit umgehen sollen. Die haben mich dann tatsächlich einfach von heute auf morgen fallen gelassen. Das hat mich anfangs sehr schockiert! Das hat sich sehr nach Scheitern angefühlt.
Was haben Sie daraus gelernt?
Aleksandra Nagele: Das, was ich aus dieser Episode gelernt habe, ist, dass man Sachen zum Beispiel im Vorhinein ausmacht und dass man im Vorhinein mitteilen muss, wenn man über die budgetierten Stunden kommt und nachfragen soll, ob man weitermachen soll und nicht einfach blindlings bedingungslos leistet, im Vertrauen, dass man das dann auch bezahlt bekommt.
Glauben Sie, dass Scheitern immer positiv ist?
Aleksandra Nagele: Nein, primär ist es einfach einmal unangenehm, das muss man so sagen. Keiner scheitert gerne, es tut weh, aber es ist einfach Teil des Lebens. Es passiert uns allen, es wird uns immer wieder passieren. Und deswegen tun wir besser daran, dass wir hinschauen und es einfach akzeptieren, als Teil des Lebens, anstatt es unter den Teppich zu kehren und schönzureden.
Haben Sie schon einmal irgendwas nicht gemacht, weil Sie Angst hatten, dass Sie scheitern könnten?
Aleksandra Nagele: Ja, ständig. Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich es ganz oft dann einfach trotzdem mache. Ich springe dann einfach und das ist vielleicht der Grund, warum ich die Fuckup-Nights mache. Es passiert mir dann oft genug, dass ich auf die Nase falle oder dass ich gar nicht so richtig weiß, ob ich das schaffe. Aber ich bin so, tue es einfach trotzdem. Um mir selber die Angst davor zu nehmen, was sein könnte, brauche ich das Format. Weil ich mich mit Menschen umgebe, die wirklich schon Schlimmes erlebt haben und die mir Hoffnung geben, dass es immer weitergeht.
Wenn Sie diese Angst haben vor dem Scheitern – was machen Sie dann?
Aleksandra Nagele: Ich suche vor allem das Gespräch. Mit Menschen, die mir wichtig sind und auf deren Meinung ich viel baue, und versuche die Dinge zu reflektieren. Ich sehe mir die Sache von allen Seiten an und dann springe ich meistens trotzdem. Ich bin froh, ein Netz an Menschen zu haben, wo ich mich aufgefangen fühle.
Werfen wir einen Blick auf die österreichische Gesellschaft. Denken Sie, dass wir besonders viel Angst haben vor dem Scheitern im Vergleich zu anderen?
Aleksandra Nagele: Man sagt ja immer, die amerikanische Scheiter-Kultur ist so viel offener. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Ich habe einige Zeit drüben gelebt und habe das nicht so beobachten können. Man hört ja immer, dass die Amerikaner uns in dem Bereich voraus wären. Ich glaube, in Österreich ist man verhaltener und mehr auf Sicherheit bedacht und traut sich weniger. Und wenn etwas passiert, dann ist das sehr spezifisch für uns, dass wir dann gern mit dem Finger auf andere zeigen, die Schuld suchen. Es geht nicht um die Frage, was schiefgelaufen ist, sondern darum, wer es verbockt hat.
Ist Scheitern in Österreich etwas, das negativ besetzt ist?
Aleksandra Nagele: Ja, im Großen und Ganzen glaube ich das schon. In meinem Umfeld habe ich das Gefühl, dass es nicht mehr so ist. Ich denke, ich habe es mit vielen offenen Menschen zu tun, die einen ganz anderen Zugang haben. Ich würde schon sagen, dass sich etwas bewegt.
Ich glaube aber, solange zum Beispiel unser Schulsystem so ist wie es ist, wo Menschen heute einfach bewertet werden, nach Noten und Daumen runter, Daumen hoch, du bist gut, du bist schlecht, nehmen wir das einfach auch von klein auf mit in unser Erwachsenenleben. Also Aburteilen und Bewerten ohne die Graustufen dazwischen sehen zu wollen. Und ich bin halt dafür, dass man sich auch die Graustufen mehr anschauen soll.
Was sollten wir als Gesellschaft diesbezüglich ändern?
Aleksandra Nagele: Ich glaube, das einfachste ist von Anfang an einen offenen Dialog zu führen. In der Familie, unter Freunden, in der Arbeit. Wenn wir das schaffen, ist schon ganz viel geschafft. Wenn wir durch das offene Sprechen einen Safe Space kreieren, indem sich andere aufgehoben fühlen. So wie bei den Fuckup-Nights. Wenn einer da draußen steht, mit Tränen in den Augen und sich emotional öffnet, dann haben die anderen das Gefühl, sie können das auch und es ist nicht so schlimm, was ihnen passiert ist. Wir kochen alle nur mit Wasser und uns geht’s allen ähnlich. Wir können dann endlich diese Maske ablegen und müssen nicht mehr nach außen hin ständig diesen Schein wahren, dass wir so unfehlbar und perfekt und erfolgreich sind. Ich glaube, das tut uns einfach gut als Menschen, im Leben.
Wenn ich in meinem Umfeld jemanden wahrnehme, der gescheitert ist – soll ich ihn darauf ansprechen oder eher nicht?
Aleksandra Nagele: Ja, ich probiere das schon und ich erfahre verschiedene Reaktionen. Viele sind sehr dankbar, weil sie reden können. Manche können sich gar nicht damit identifizieren. Die sagen mir dann, dass sie gar nicht gescheitert wären. Es wäre nur eine Entwicklung gewesen oder jemand anderer sei schuld, aber sie wären doch nicht gescheitert! Man muss die Definition, was Scheitern ist, individuell bei den Menschen lassen, finde ich. Ich will nicht die Person sein, die aburteilt, ob jemand gescheitert ist oder nicht. Das muss jeder für sich beantworten, ob er das so empfindet oder nicht. Scheitern hat immer mit Erwartungen zu tun, die man an sich selbst hat.
Sie haben nun schon mehrmals von Fuckup Nights gesprochen? Was ist das genau?
Aleksandra Nagele: Das ist ein Format, das in Mexiko erfunden wurde. Dort haben sich Freunde bei einer Flasche Tequila getroffen und einander erzählt, in welchen beruflichen Projekten sie gerade gescheitert sind. Daraus haben sie so viel Energie geschöpft, dass sie das beim nächsten Mal größer gemacht haben und ein paar Freunde mehr eingeladen haben. Und ist es immer weiter gewachsen. Innerhalb von ein paar Jahren ist daraus eine weltweite Bewegung geworden, die es mittlerweile in mehr als 300 Städten auf der ganzen Welt gibt. Es gibt viele Kopien, aber dieses Original kommt aus Mexiko und ist von verschiedenen Verrückten wie mir in Städten auf der ganzen Welt lizenziert.
Wie oft haben SIe das schon in Salzburg veranstaltet?
Bisher 18 Mal. Der nächste Termin ist am 5. Mai im Loft in der Müllner Hauptstraße in Salzburg.
Gibt es verschiedene Themen oder ist es immer ein beruflicher Kontext?
Aleksandra Nagele: Fuckup Nights sind primär beruflich, aber natürlich einhergehend mit der persönlichen Komponente. Die darf man nicht aussparen, denn wir sind Menschen und bringen uns ja mit all unseren Stärken und Schwächen in den Beruf ein. Da will ich hin. Wenn ich es schaffe, mit einem Sprecher in der Vorbereitung diese menschliche Seite herauszuschälen und zu fragen, was das mit ihm gemacht hat, dann ist es gut. Ganz oft erlebe ich, dass Sprecher:innen nach der Vorbereitung und nach der Fuckup-Night sagen, dass sie nun Aspekte an ihrer Geschichte erkennen, die sie vorher noch gar nicht wahrgenommen haben. Und durch das Aufarbeiten mit mir und durch die Vorbereitung sind sie in der Lage abzuschließen und das in das innerliche Regal zu stellen und zu sagen: Passt, das ist jetzt passiert, das war meine Learnings daraus und jetzt geht es weiter. Also nicht nur die Zuhörerinnen profitieren, sondern auch die Sprecher selbst von ihrer Vergangenheit.
Was möchten Sie unseren Apropos-Leser:innen mitgeben, die Angst vor dem Scheitern haben?
Aleksandra Nagele: Ich glaube, wenn man ein Bewusstsein dafür hat, was man wirklich will und was einem vom Herzen her wichtig ist, dann kann man nicht wirklich scheitern. Dann ist alles, was passiert. irgendwie eine Ausprägung dessen. Dann sind es nur verschiedene Wege, die das Herz im Leben sucht, um etwas wahr zu machen. Und dann hat eben ein Wegen nicht funktioniert. Aber wenn du weißt, was du willst, dann gibt es noch 1000 andere Wege und die muss man einfach gehen. Und so lange man wieder aufsteht und einen von diesen Wegen nimmt, ist man nicht gescheitert.