
Kopf aus, Hände an
Während die digitale Welt lauter wird, suchen immer mehr Menschen nach Erfahrungen in der analogen Welt. Studio Blau in Elsbethen bietet einen solchen Kontrast: In der Keramikwerkstatt erschafft man Becher, Schüsseln oder Vasen mit den eigenen Händen – und dockt an eine Community an, die die Sehnsucht nach dem Echten teilt.
von Sandra Bernhofer
Endlich einmal nicht vor dem Computer sitzen – diese Sehnsucht teilt Dominic Rettenbacher mit vielen seiner Kund:innen, die ins Studio Blau in Elsbethen kommen. Neben dem Studio betreibt der junge Tennengauer nämlich zwei weitere Unternehmen. Als Selbstständiger bleibt es nicht aus, Angebote zu schreiben, Fotos zu bearbeiten, an 3D-Modellen zu basteln. Oft stundenlang. Die offene Keramikwerkstatt Studio Blau hat er vor fast eineinhalb Jahren gemeinsam mit Theresa Oberauer und Melanie Aldrian gegründet. Das Ziel: dem Töpfern einen Raum geben. „Wir haben gemerkt, dass in Salzburg ein riesiger Bedarf da ist. Spontan einmal an der Drehscheibe arbeiten oder einen Brennservice nutzen – diese Möglichkeit gab es bis dahin nicht wirklich.“
„Mit Ton zu arbeiten, hat etwas sehr Beruhigendes“, sagt Rettenbacher. Vielleicht liegt es am Fokussieren, an der Entschleunigung, daran, dass man sich in Geduld üben muss. All das braucht man nämlich, wenn man aus einem Klumpen Ton etwas erschaffen will. Denn Ton ist ein eigenwilliges Material. Kühl und weich gibt er unter den Fingern nach – doch nicht ohne Widerstand. Er schmatzt beim Kneten unter den Händen, klebt an der Haut wie Kuchenteig und wird mit jeder Berührung geschmeidiger. Auf der Drehscheibe beginnt er unter den Händen zu wachsen, sich zu drehen, zu verändern – als würde man mit ruhigen Bewegungen etwas Lebendiges erschaffen.
In einer Welt, in der Bildschirme zunehmend unseren Alltag bestimmen, ist das Töpfern mehr als ein Handwerk. Es ist echt. Es erdet. Und ist damit ein Gegenentwurf zur digitalen Rastlosigkeit. „Nach einer Phase, in der wir selbst auf der Toilette über Blackberry und Co ständig mit der ganzen Welt vernetzt waren – bis hin zum digitalen Burnout –, sehnen sich die Menschen nach echten, haptischen Erfahrungen, nach einem analogen Miteinander“, bringt es der deutsche Trend- und Zukunftsforscher Marcel Aberle auf den Punkt. In den vergangenen Jahrzehnten sind digitale Technologien in sämtliche Lebensbereiche vorgedrungen. Wir haben uns einem regelrechten Vernetzungsrausch hingegeben – und unseren Alltag zunehmend auf Plattformen wie Zoom, Facebook oder Instagram verlagert.
Derart alles durchdringende Trends rufen stets Gegentrends hervor, weiß Aberle. Im Falle der Digitalität heißt das, dass Menschen sich selbst bewusste Auszeiten von Instagram und Co verpassen, „entgiften“ oder alles Digitale verteufeln. „Digitale Effizienz braucht den Gegenpol lebendiger, menschlicher Beziehungen“, betont der Zukunftsforscher.
Kein Wunder also, dass Lesecafés und politische Leseclubs von Studierenden oder Parteien einen regen Zustrom verzeichnen. Genauso wächst die Zahl der Vereine in Österreich stetig. Aktuell sind es mehr als 131.000, in denen Menschen gemeinsam sporteln, garteln oder sich ehrenamtlich für die Gesellschaft engagieren. Allein 2023 sind rund 500 neue Vereine dazugekommen. Auch Stammtische bieten eine Möglichkeit, um anzudocken, um echte Begegnungen zu teilen – im Salzburger Bräustübl etwa gibt es aktuell rund 280 davon, die mindestens einmal im Monat zusammenkommen.
Zurück in der Keramikwerkstatt in Elsbethen: Der Raum ist lichtdurchflutet und schlicht eingerichtet, der Großteil der Möbel aus hellen Pressspanplatten in Eichenoptik ist eigens zusammengezimmert worden, was dem Raum eine aufgeräumte und gleichzeitig heimelige Atmosphäre verleiht. Es gibt eine eigene Kaffeeküche, deren Nutzung im Abopreis inbegriffen ist, zwei große Arbeitstische, Werkzeuge und zwölf Drehscheiben, die zum Co-Kreieren einladen. Die Leute, die Musik im Hintergrund und das stimmige Ambiente schaffen eine besondere Atmosphäre zum kreativen Arbeiten. „Das ist etwas, das die Leute schätzen, die zu uns kommen, und worauf auch wir Wert legen“, erzählt Studio-Blau-Mitgründer Dominic Rettenbacher. Teamworkshops oder Junggesellenabschiede? „Gerne, aber nicht während der regulären Öffnungszeiten“, schmunzelt er. Denn das Töpfern ist für viele ein Wegkommen vom durchgetakteten, lauten Alltag, wie das Gründer-Trio beobachtet. „Wir haben die, die alleine kommen, sich Kopfhörer reinstecken und dann zwei Stunden lang konzentriert durcharbeiten. Andere kommen ganz gezielt, um an eine Community anzudocken, um das Gespräch zu suchen.“
Eine Voraussetzung, um die offene Werkstatt zu nutzen, gibt es – eine gewisse Grunderfahrung im Töpfern sollte man jedenfalls haben. Die kann man etwa in einem der Einsteigerkurse sammeln, die Melanie Aldrian anbietet. Mit allzu großen Ambitionen sollte man sich beim ersten Mal freilich nicht an die Drehscheibe setzen, rät Rettenbacher: „Realistischerweise nimmt man kein perfektes, sechsteiliges Geschirrset mit nach Hause, sondern vermutlich eher zwei missglückte Becher.“ Die Lernkurve sei aber steil. Viele kommen wieder, holen sich nach dem Einsteigerkurs ein Abo, um dann selbstständig die Infrastruktur zu nutzen. „Jene, die sich noch nicht ganz drübertrauen, können auch einfach Rohlinge bemalen. Die machen wir aus den Resten, die bei den Kursen übrig bleiben“, sagt der Werkstattbetreiber. „Wir achten darauf, dass nichts verschwendet wird.“
In einer Welt, die sich immer schneller dreht, bieten Orte wie das Studio Blau einen Raum zum Ankommen – mit den Händen, mit dem Kopf, mit der Seele. Hier geht es nicht um Perfektion, sondern um den Prozess, um das Spüren des Materials, um die Begegnung mit sich selbst und anderen. Es ist eine Rückkehr zur echten, analogen Erfahrung – ein Gegenpol zur digitalen Hektik, nach dem sich immer mehr Menschen sehnen.