
Ade, adieu, pfiat enk
von Georg Wimmer
Der Zusammenhang zwischen ade, adieu und pfiati d Gott war mir lange nicht klar. Alle drei sind Grußformen zum Abschied, die Gott anrufen. Das französische adieu kommt von ade, dessen Wurzeln im Lateinischen liegen. Und ad deum heißt so viel wie zu Gott hin. Laut Wikipedia war adieu im Deutschen bis 1914 der geläufigste Abschiedsgruß, bis er mit der einsetzenden antifranzösischen Propaganda aus dem Alltag eliminiert wurde: Man grüßt deutsch!
Ein adieu gab mir als junger Journalist in Wien Anfang der 1990er sehr zu denken. Ich war dabei, als die letzte Ausgabe der angesehenen Arbeiterzeitung in Druck ging. Auf der Titelseite war am Ende nur ein Foto von uns Redakteurinnen und Redakteuren, dazu fünf traurige Buchstaben und ein Ausrufezeichen: adieu! Damit hatte ich nicht gerechnet, dass sich eine linksliberale Zeitung in ihrer letzten Stunde auf Gott beruft. Vielleicht wurde adieu aber auch nur deshalb gewählt, weil sich die fünf Buchstaben so groß und pathetisch auf der Seite platzieren ließen.
Was pfiati di genau heißt, habe ich mich eigentlich nie gefragt. Aufgefallen war mir aber, dass mein Vater das schlichte pfiati di in besonderen Situationen zu einem pfiat di Gott ausschmückte. Wenn ich zu einer längeren Reise aufbrach, sagte er sogar „behüt´ dich Gott, mein Sohn“. Mein Vater hatte ein großartiges Sprachgefühl und wählte seine Worte stets mit Bedacht. Ich war mir aber nie ganz sicher, ob er mit seiner Wortwahl richtig lag. Mein Vater, Jahrgang 1913, war Spengler-, Glaser- und Dachdeckermeister im Pinzgau, und weil er auch Ministrant und ein verlässlicher Kirchgänger war, konnte er eine ganze Messe auf Latein herunterbeten. Pater noster, qui es in coelis … Wie oft haben wir das von ihm gehört. Dass wir meinem Vater mit einer einfachen Frage draufgekommen sind, dass er im Detail gar nicht wusste, was er da aufsagt, steht auf einem anderen Blatt.
Mit der Übersetzung von pfiat di in behüt´ dich hatte mein Vater aber völlig recht. Das kann man inzwischen sogar im Internet-Wörterbuch Wiktionary nachlesen. Als mein Vater dann nach einem erfüllten Leben gestorben ist, hat ihm ein lieber Freund am Grab noch eine letztes pfiati di Gott hinterhergerufen. Das hat an dieser Stelle perfekt gepasst. Ein adieu wäre hier genauso fehl am Platz gewesen wie ein pfiat enk auf der letzten Titelseite der Arbeiterzeitung.
Georg Wimmer und 26 weitere Autor:innen denken zu Jahresbeginn über ihr „Ade“ nach.