„Armut kann auch weh tun“

 

Sie ist eine Verkäuferin der ersten Stunde – und nach 25 Jahren immer noch dabei: Luise Slamanig ist aber mehr als eine Wegbegleiterin für Apropos. Vor vielen Jahren schon hat sie den Weg gefunden zur Autorin. Immer wieder hat sie ihre Erlebnisse im Direkt-Vertrieb der Salzburger Straßenzeitung niedergeschrieben, Interviews mit Politikern gemacht. Heute steht sie einmal selbst im Mittelpunkt. Unser Gastautor Karl Kern vom ORF hat Luise Slamanig in der Academy Bar getroffen.

 

von Karl Kern

 

„Hallo, Servus, Griaß Di, schön Dich zu sehen …“, wer sich mit Luise Slamanig in der Academy Bar im Salzburger Andräviertel trifft, der weiß eines sofort: diese Frau ist keine Unbekannte in dieser Stadt. Jeder zweite Gast kennt sie, begrüßt sie. „Wie geht’s Dir? Alles in Ordnung?“ Etliche fragen nach, erkundigen sich nach dem Befinden der 65jährigen gebürtigen Kärntnerin. Dass sie aus dem Süden Österreich kommt, das kann Luise Slamanig auch nach Jahrzehnten in Salzburg nicht verleugnen, man hört es.

Salzburg ist längst Heimat geworden, auch wenn das Leben in Salzburg nicht einfach war und ist. 947 Euro Pension pro Monat bekommt Luise Slamanig, dazu noch 21 Euro Wohnbeihilfe. 300 Euro zahlt sie Miete für ihre 33 Quadratmeter große Garconnière in der Goethe-Siedlung. „Und dann geht halt auch noch das Geld für den Strom weg“, schildert sie. „Die Kosten für’s Leben steigen schneller als die Pension“.

Ende der 1970er Jahre hat Luise Slamanig ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau abgeschlossen. Eine massive Prüfungsangst setzte ihr aber zu, dazu eine alles andere als rosige Kindheit. „Der Vater hat viel getrunken, wir waren neun Kinder, er kam dann wegen einer schweren Kopfverletzung in eine Pflegeanstalt“. Die Mutter musste arbeiten, Luise auf die acht Geschwister aufpassen.

„Habe den falschen Mann erwischt …“

Sie habe es am schwersten gehabt von allen Geschwistern, erzählt Luise Slamanig, das Ausbrechen aus der Familie, das Weggehen für die immer schon ein bisschen Wilde, für den geborenen Sturschädel habe nicht funktioniert. „Ich habe den falschen Mann erwischt“, weiß sie auch den Grund dafür. 1976, mit nicht einmal 20 Jahren, kommt Luise Slamanig in psychiatrische Betreuung, Medikamente hatten sie zittrig gemacht, ein Jahr später zieht sie dann doch weg aus Kärnten, geht nach Salzburg. „Ich habe mich in Kärnten für den Klinikaufenthalt geniert“, schildert sie die Stimmung damals. In Salzburg geht es ihr besser, heute macht sie immer noch eine Gesprächstherapie, besucht ein Kommunikationszentrum für psychisch Kranke, ist in einer Selbsthilfegruppe. „Es hat sich schon viel getan in 30 Jahren“, resümiert sie nicht unzufrieden.

„War immer ein positiver Mensch“

Ein hartes Leben – jahrelang auch am Rande der Gesellschaft – hat Luise Slamanig nicht bitter gemacht. Ein bisschen kommt auch der Fatalist in ihr durch. „Was ich heute anders machen würde? Ich weiß es nicht. Das Leben macht es eh mit einem, man muss es nehmen wie es kommt und das Beste draus machen“, sagt sie. Slamanig sieht sich grundsätzlich als positiven Menschen, „ich hadere nicht mit dem Schicksal, das bringt ja nichts“.

Das letzte Mal auf Urlaub war Luise Slamanig vor drei Jahren, „da bin ich mit der Volkshilfe nach Lofer gefahren zum Wandern“. Neidig auf Menschen, die mehr haben als sie, ist die Apropos-Verkäuferin trotzdem nicht. „Geld macht nicht glücklich“, sagt sie und es klingt als sei sie davon wirklich überzeugt, wenn sie bekräftigt: „Geld ist nicht alles“. Aber eines weiß Luise Slamanig auch: „Armut kann auch weh tun, wenn Du Dir nichts leisten kannst“.

„Geschämt für Obdachlosigkeit“

Geld hätte Luise Slamanig aber mit Sicherheit vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Eine Erfahrung, die sie geprägt hat. „Das war nicht so fein“, erzählt sie – und versucht dabei sichtlich, die Emotionen, die bei dieser Erinnerung auch viele Jahre später noch hochkommen, zurückzuhalten. „Ich habe mich so geschämt, dass ich mich nicht einmal getraut habe, frühere Arbeitskolleginnen zu grüßen“, lässt Luise Slamanig dann doch tiefer blicken. „Und da ist es völlig wurscht, ob Du was dafür kannst, dass Du obdachlos bist“. Es war schwer, wieder hinaufzukommen, „wenn Du da liegst auf der Straße“.

„Apropos ist irgendwie Familie“

Geholfen hat Luise Slamanig die Straßenzeitung. Zunächst als Verkäuferin, seit Jahren auch als Autorin. Geschrieben hat sie schon in der Schule gerne. „In Deutsch war ich gut, die Aufsätze waren in Ordnung“, nur ein Tagebuch zu schreiben, das hat sie nie interessiert. Da verfasst sie lieber Politikerportraits, berichtet von ihren Erfahrungen als Verkäuferin des Asfalter – den schönen und auch den weniger schönen. Anfangs hätten viele nicht akzeptiert, dass auch das ein Job sei. Sie habe immer wieder zu hören bekommen, warum sie nicht „G’scheites“ arbeite. Das waren meist „feinere Leute im Pelzmantel“, erzählt Luise Slamanig mit einem Schmunzeln. Und freut sich, dass sich die Blattlinie im Apropos in den vergangenen 25 Jahren gewandelt hat. „Am Anfang, da hat die Zeitung noch Asfalter geheißen, da waren da drin nur Geschichten über Leute, die gestrandet sind, über Abstürze, über Alkohol. Heute ist das anders, heute berichten wir viel über Positives, über Erfreuliches trotz aller Schicksalsschläge“.

Seid ihr so etwas wie eine Familie bei Apropos? „Jeder macht seinen Job, wir treffen uns schon manchmal, aber wir sind keine Schicksalsgemeinschaft oder so“, sagt Luise Slamanig anfangs. Um dann, nach ein paar Sekunden des Zögerns, doch noch einzugestehen: „Ich kenne schon die Geschichten der anderen, die auch schreiben. Und eigentlich kann man das mit der Zeitung dann schon Familie nennen“.

„Gebt den anderen etwas ab“

Wenn Luise Slamanig Menschen, die viel besitzen, einen Rat geben könnte, sie würde folgendes sagen: „Gebt den anderen was ab, das wäre das Einfachste. Weil ein bisschen eine Umverteilung, das wäre schon gerecht“.