Die Leisen zum Sprechen bringen
Das Literaturhaus Salzburg hat im Rahmen des MitSprache-Projekts der österreichischen Literaturhäuser in Kooperation mit Apropos Schülerinnen und Apropos-Autorin zu einer zweitägigen Schreibwerkstatt mit der Salzburger Schriftstellerin Birgit Birnbacher eingeladen. Die fünf Schülerinnen waren neugierig darauf, einerseits die Apropos-AutorInnen kennenzulernen und andererseits zu erfahren, was genau in einer Schreibwerkstatt geschieht.
Birgit Birnbacher im Gespräch mit Christina Repolust
Wir sitzen hier in der Bibliothek des Literaturhauses Salzburg nach der zweiten Einheit der Schreibwerkstatt, die Sie für Schülerinnen der HTL Salzburg und des Polytechnischen Lehrgangs in Hallein gemeinsam mit Autorinnen der Straßenzeitung Apropos gehalten haben. Sehen Sie Gemeinsamkeiten in den Texten der 15-Jährigen? Welche Parallelen sehen Sie in den Geschichten der beiden Gruppen, also Schülerinnen und Apropos-AutorInnen?
Birgit Birnbacher: Aufgefallen ist, dass es schon viel um Umbrüche in den Lebensgeschichten gegangen ist. Einschneidende Erlebnisse, häufig in Berichtform. Das hat natürlich einerseits mit den Schreibaufgaben zu tun gehabt. Andererseits war aber bei den Teilnehmer:innen wohl auch das Bedürfnis da, von sich zu erzählen, etwas aus dem Leben zu berichten, das ist auch etwas, was diese Texte eint.
Sie haben im ersten Teil der Schreibwerkstatt den Teilnehmer:nnen die Anfänge zweier Impulssätze angeboten: „Wenn ich mich umdrehe, sehe ich …“ und „Der Tag, an dem ich Welt veränderte, war …“. Wie kamen Sie auf diese zwei Impulse?
Birgit Birnbacher: Den ersten habe ich geklaut, ich weiß aber nicht, von wem. Von dieser Schreibaufgabe erzählte mir kürzlich eine Teilnehmerin, die ich in einer anderen Werkstatt begleitet habe. Sie hat einen fantastischen Text aus dieser Aufgabe gemacht hat, die aber schon längere Zeit zurückliegt. Das hat mich sehr beeindruckt, also wollte ich ausprobieren, was „unsere“ Teilnehmer:nnen damit anstellen.
Beim zweiten Textimpuls wollte ich den Teilnehmer:innen anbieten, Utopien auszuspinnen. Es sollte auch ein Text werden können, der nicht ihrer Lebenswelt entspringt, oder zumindest die Möglichkeit dafür offen lässt.
Beim Vorlesen der einzelnen Texte war es vollkommen ruhig, die Teilnehmer:innen hörten einander sehr konzentriert zu. Diese Stimmung wünsche ich allen Deutschlehrerinnen und -lehrern, auch allen Schüler:nnen: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass diese Bezogenheit entsteht?
Birgit Birnbacher: Die SchülerInnen wie die Apropos Verkäufer:iinnen haben gewusst, dass sie ernst genommen werden, und ernst genommen worden sind sie, weil das, was sie vorgelesen haben, authentisch war. Sie haben etwas von sich hergegeben und beim Vorlesen etwas zurückbekommen.
Sie haben in der Schreibwerkstatt mehrfach den Begriff „ehrlicher Text“ verwendet. Wann ist ein Text ehrlich, also unverstellt? Mir hat dieser Zugang sehr gefallen, denn er macht Mut, den eigenen Stil zu suchen und zu behalten.
Birgit Birnbacher: Das habe ich gesagt? Ehrlich ist ein schwieriges Wort. Was ich gemeint habe, ist wohl: unverstellt. Wenn ein Text keine Pirouetten dreht, nur um zu gefallen, sondern sich auf einfache Mittel verlässt, muss man das anerkennen. Wenn ein Text sich aufpudelt und mordsmäßig groß tut, wie er daherkommt, ist das hingegen – für mein Gefühl – ein Warnsignal.
Alle Geschichten, die in der Schreibwerkstatt entstanden sind, erzählen von Tiefpunkten und unterschiedlichen Wegen, diese hinter sich zu lassen. Haben Sie diese Resilienz erwartet?
Birgit Birnbacher: Ich habe gar nichts erwartet. 15-jährige kenne ich relativ wenig, das war für mich schon auch sehr spannend, zu erfahren, worum es ihnen so geht und wie sie so drauf sind.
Die Geschichten der 15-Jährigen zeigen ja sehr ernsthafte Jugendliche, sehr empathische junge Frauen, die sich viele Gedanken machen. In Ihrem Text „Der Zoo“ haben Sie den Werdegang einer Schülerin beschrieben, die knapp vor der Matura ausstieg, eine Lehre begann und abschloss, danach in Äthiopien in einem Waisenhaus arbeitete und schließlich nach ihrer Rückkehr nach Österreich die Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvierte, die Matura nachholte und Soziologie studierte. Wie viel Birgit Birnbacher steckt in dieser jungen Frau?
Birgit Birnbacher: „Der Zoo“ ist ein ausschließlich autobiographischer Text, das war eine Auftragsarbeit, mit der ich der Situation entgehen wollte, mich einer Gruppe Studierender vorzustellen und dabei das Übliche herunterzuleiern. Ich wollte lieber schreiben als sprechen und habe dann das Geschriebene vorgelesen.
Zurück zum MitSprache-Projekt. Wie gelingt es, Menschen zu motivieren, das Wort zu ergreifen, mit Sprache Veränderungen zu überlegen und auch Mitsprache einzufordern?
Birgit Birnbacher: Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen ein großes Mitteilungsbedürfnis haben. Die Herausforderung ist ja immer, die Leisen zum Sprechen zu bringen, und nicht zu glauben, die ganze Welt bestünde nur aus den Lauten, die sowieso überall herumschreien und sichtbar sind. Bei den Leiseren geht es oft um den Rahmen. Wenn das entsprechende Setting da ist, kommen sie zu Wort. Ich denke, genau so etwas hat das Projekt geleistet.