„Einsamkeit ist ein schwerer Gegner …

 

… den man allein nicht besiegen kann”, heißt es in einem Zitat. Fast jede:r von uns kennt sie, die Einsamkeit. Vier von fünf Teenagern und fast die Hälfte der Menschen über 65 Jahren bezeichnen sich zumindest manchmal als einsam. Als soziale Spezies geht es uns nicht gut damit – wir brauchen für unser Wohlbefinden Verbindungen zu anderen Menschen.

 

von Eva Daspelgruber

 

Sabine sitzt heute ganz allein auf ihrem Sofa. Außer ihr ist niemand sonst in der Wohnung. Es herrscht vollkommene Stille, die plötzlich durch den Klingelton ihres Smartphones unterbrochen wird. Ihre beste Freundin ist dran und möchte sie zum Kaffee trinken überreden, weil sie doch heute sonst ganz allein wäre. Sabine lehnt dankend ab, legt auf und lauscht wieder in die Stille hinein, die sie umgibt. Als alleinerziehende Mutter ist sie das nicht gewohnt. Tatsächlich sind heute all ihre Kinder ausgeflogen und sie kann es kaum fassen, einmal vollkommen allein zu sein. Sie möchte das auch nicht ändern, sondern jede Minute genießen, in der sie sich nur um sich selbst kümmern muss. Natürlich liebt sie ihren Nachwuchs über alles, aber Zeit für sich findet sie im Moment auch ganz wunderbar.

Veronika ist heute zum Familienessen eingeladen. Ihre Mutter hat Geburtstag und so versammelt sich die ganze Familie. Ihre Geschwister und deren Partner sind da, es herrscht reges Treiben im Haus. Veronika unterhält sich oberflächlich mit ihrer Schwägerin, spricht über Urlaubspläne und den bevorstehenden Schulwechsel ihrer Nichte. Die Menschen um sie herum scheinen alle gut gelaunt und zufrieden zu sein. Sie selbst möchte eigentlich so schnell wie möglich wieder nach Hause und ihre Serie weiterschauen. Denn obwohl diese Menschen hier ihre Familie sind, fühlt sie sich mit ihnen nicht verbunden.

Maria muss absagen. Schon wieder. Sie denkt, dass ihre ehemalige Kollegin sie heute wohl zum letzten Mal angerufen hat. Es ist schon das dritte Mal, dass sie angeblich andere Termine hat und nicht mit den Ex-Kolleginnen eine Bar besuchen kann. Dabei hätte sie die Frauen gerne getroffen. Seit ihrer Kündigung sind nun drei Monate vergangen und sie vermisst das Tratschen mit ihnen. Jedoch kann sie sich einen Barbesuch schlichtweg nicht leisten. Und das zu gestehen, schafft sie nicht.  Darum die Ausflüchte, darum die angeblichen Termine. Sie möchte nicht, dass die anderen wissen, dass sie knapp bei Kasse ist. Womöglich reden sie dann hinter ihrem Rücken über sie oder laden sie aus Mitleid ein. Nein, das soll nicht passieren, da bleibt sie lieber allein daheim.

Die Geschichten der Frauen zeigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob wir allein sind oder einsam. Und ob das gewollt oder ungewollt ist. Während Sabine ihre Zeit allein genießt, sitzt Veronika inmitten ihrer eigenen Familie und fühlt sich einsam. Das liegt daran, dass sie sich als isoliert von ihrem Umfeld wahrnimmt, keine Verbindung mit den Menschen hat, mit denen sie sogar verwandt ist. Maria wiederum hätte gerne Gesellschaft, aber nicht die finanziellen Ressourcen, um sich mit den anderen in einer Bar zu treffen. Sie ist am Weg in die Einsamkeit, wenn sie nichts dagegen unternimmt.

Einsamkeit ist ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem. Sie kann mit körperlichen Schmerzen oder dem Gefühl von Hunger und Durst verglichen werden. Dabei wird dieser Zustand oft nicht auf den ersten Blick erkannt. Auch einsame Menschen können jede Menge soziale Kontakte haben. Was fehlt ist aber die wahrgenommene Verbundenheit mit anderen, die unerlässlich für die Gesundheit ist. Man kann sich diese Verbundenheit als Gerüst für unser Selbst vorstellen, das zusammenbricht, wenn es beschädigt wird.

Liest man über die gesundheitlichen Auswirkungen von Einsamkeit, so kann diese zu erhöhtem Blutdruck führen, der wiederum das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich bringt. Einsame Menschen haben eher depressive Symptome und ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Ihre Schlafqualität ist schlechter und sie bewegen sich weniger. Ihr Blick auf die Welt ist vorwiegend negativ und sie erwarten nichts Gutes im Umgang mit anderen Menschen, was sich als selbsterfüllende Prophezeiung dann auch bestätigt. Sie befinden sich in einer schier endlosen Schleife, sind gestresst, pessimistisch, ängstlich und haben einen eher niedrigen Selbstwert.

Ist die Einsamkeit nur kurzfristig, sind die negativen Effekte nicht weiter schlimm. So kann nach einer Trennung von der Partnerin oder vom Partner eine solche Phase folgen, ebenso nach einer Kündigung oder einem Umzug in eine andere Stadt, wo man noch niemanden kennt. Da wir Menschen Herdentiere sind, verfügen wir über einen inneren Antrieb nach Verbundenheit mit anderen und kümmern uns nach einer Weile wieder selbst darum, uns Mitmenschen zugehörig zu fühlen.

Problematischer ist es bei Menschen, die chronisch einsam sind. Das betrifft Schätzungen zufolge 15 bis 30 Prozent. Für diese Gruppe ist es nicht einfach, wieder einen Weg zu finden, der sie mit anderen Menschen verbunden fühlen lässt. Ein erster wichtiger Schritt wäre, die negativen Erwartungen an soziale Kontakte abzulegen und auch, sich vermehrt unter Menschen zu begeben. Das kann ein Sportverein sein ebenso wie eine ehrenamtliche Tätigkeit.

Und natürlich sollen auch wir Mitmenschen wachsam sein, wenn wir in unserer Umgebung eine vermutlich einsame Bekannte oder einen Verwandten haben, von dem wir schon länger nichts gehört haben. Vielleicht lässt sich die eine oder der andere zu einem gemeinsamen Spaziergang oder einem Getränk im Gastgarten überreden und öffnet sich uns über den üblichen Smalltalk hinaus? Einen Versuch wäre es wert.