Glücklich sein ist das Wichtigste

 

„Actually, …“, beginnt Joshua viele seiner Sätze (Anm.: „tatsächlich“ auf Deutsch). Dem Einleitungswort folgen Erzählungen aus einem jungen Leben, welches sich von meinem eigenen so sehr unterscheidet, dass mir allein die Vorstellung des Erlebten schwerfällt.

 

von Anna Maria Papst

 

Mit 27 Jahren floh Joshua Osaro Oni-Oboh aus seinem Heimatland Nigeria. Politische Bedrohungen waren der Grund für die Flucht. Joshua schüttelt den Kopf und macht eine wegwerfende Handbewegung. Die Politik in Nigeria: „It is crazy“. Verrückt ist auch, dass ich ohne Recherche nicht einmal den Hauch einer Ahnung der dortigen politischen Lage habe, geschweige denn, den Namen einer der momentan aktiven Politiker:innen kenne. Muhammadu Buhari heißt der derzeitige Präsident, er ist zugleich auch Regierungschef der Bundesrepublik Nigeria in Westafrika. Im Demokratieindex 2020 erhielt Nigeria 4 von 10 möglichen Punkten und steht so näher bei einem autoritären Regime wie einer vollständigen Demokratie. Mit rund 220 Millionen Einwohner ist es das bevölkerungsreichste Land Afrikas und weltweit das Land mit der siebtgrößten Bevölkerung – und trotzdem weiß man so wenig darüber.

Meiner kurzen Wikipedia-Recherche zufolge ist Nigeria seit 2014 die größte Volkswirtschaft Afrikas und wird von der Weltbank als Schwellenmarkt angesehen. Nigeria steht also am Anfang einer Industrialisierung, gemessen an wirtschaftlichen Faktoren. „Es gibt Jobs in Nigeria“, sagt auch Joshua: „Wer die Möglichkeit hat eine Schule zu besuchen, findet etwas zu tun.“ Er selbst lernte in der Schule betriebswirtschaftliche Grundlagen und hatte unterschiedliche Jobs. Er arbeitete bei einer Erdölgesellschaft, als Chauffeur und hatte auch mal sein eigenes Geschäft: Im Stadtzentrum von Benin City verkaufte er Popcorn auf der Straße. „Jeder wollte es kaufen, weil es so gut roch“, freut er sich.

Essen ist ein wichtiges Thema in Nigeria, vor allem Streetfood. Die Menschen seien immer beschäftigt und müssten in den Straßen essen. Am liebsten hat Joshua gekochten Mais mit nigerianischen Birnen. Diese Birnen, auch Ube genannt, sind violette Früchte, ähnlich einer Aubergine, nur kleiner. Auch von Ube habe ich zuvor noch nie etwas gehört, Joshua zeigt mir ein Foto der Frucht auf seinem Handy.

Vor sechs Jahren machte er sich auf den Weg, verließ seine Heimatstadt in Richtung Norden. Sein erster Zwischenstopp: Libyen. Die schnellste Route mit dem Auto von Benin City nach Tripolis dauert laut Google Maps 70 Stunden. Über 5.000 Kilometer lang ist die Strecke, in der sich sogar die Zeitzone um eine Stunde ändert. Sechs Monate war er in Libyen bevor er auf einem dieser Flüchtlingsboote übersetzte und in Italien erstmals europäischen Boden betrat. Ich frage ihn, ob er sich allein auf die Reise gemacht hat. „Ich habe unterwegs Freunde gefunden, Leute kennengelernt und wir sind zusammen gekommen, das war´s“, lautet Joshuas Antwort.

Neue Leute kennenzulernen ist kein Problem für ihn. Er ist ein offener Mensch, findet gleich einmal Anschluss. In Italien lebt Joshua in Florenz. Er besucht eine Sprachschule und macht den Traktor- und Gabelstaplerführerschein. Regelmäßige Arbeit findet er aber keine. Er arbeitet am Bau, die Jobs dauern nie länger als drei Monate, dann hat er wieder nichts, muss etwas Neues suchen. Etwa fünf Jahre macht er das mit, dann setzt er sich in den Zug, wieder weiter Richtung Norden.

In Salzburg verlässt er den Zug. Versucht sein Glück von jetzt an hier. Und er findet wieder schnell neue Freunde. In der Altstadt trifft er den Apropos-Verkäufer Friday Akpan, kommt mit ihm ins Gespräch und Friday erzählt ihm von der Straßenzeitung. Etwa ein Monat nach seiner Ankunft in Salzburg erhält er seinen Verkaufsausweis. „Apropos macht es einem leicht, die Zeitungen zu verkaufen, mit den 20 Stück, die man zu Beginn bekommt. Aber am Anfang war es nicht einfach, einen Platz zu finden, wo ich verkaufen kann“, sagt Joshua.

Den Platz hat er jetzt, Joshua steht meistens beim Billa in Aigen oder auch manchmal im Stadtzentrum. Eine eigene Wohnung in der Stadt hat er auch. Davon, dass er in Salzburg „angekommen“ ist, kann man aber nicht wirklich sprechen. Er darf nicht länger als drei Monate in Österreich bleiben, muss dann das Land wieder verlassen – wieder zurück nach Italien. Da hat er zum ersten Mal europäischen Boden berührt und dort ist es ihm erlaubt, zu bleiben und zu arbeiten. Also sitzt er nach drei Monaten wieder im Zug, bleibt ein paar Monate in Italien und kommt dann wieder nach Salzburg zurück.

Ich frage ihn, ob das nicht hart sei, nirgendwo länger bleiben zu dürfen. „That is the way it is,“ antwortet Joshua und lächelt dabei schwach. Er ist es anscheinend gewöhnt. Vielleicht baut man sich mit der Zeit eine Resilienz gegen so etwas auf, nimmt die Dinge wie sie sind. Ich will von ihm wissen, was für ihn das Wichtigste im Leben ist. Die Antwort kommt schnell: „Happiness“. Glück, Zufriedenheit. „Ich liebe es glücklich zu sein, positiv zu denken, das ist für mich das Beste,“ sagt er: „Ich bin von niemanden abhängig, um glücklich zu sein. Ich erschaffe mein eigenes Glück“, sagt Joshua.