Horst im Nehmen

 

Die Autorin Konstantin Url-Praher traf sich mit dem ehemaligen Apropos-Verkäufer Horst Messerle.

 

von Konstantia Url-Praher

 

Die Dornbirner:innen sind stolz auf das Naturjuwel Rappenloch. Abenteuerliche Wege führen durch die Schlucht und an außergewöhnlichen Felsformationen vorbei. Gut erschlossen durch sichere und beschilderte Wanderwege ist sie ein beliebtes Ausflugsziel für Familien und Wanderer.  Für den 13-jährigen Horst war sie – ein Jahr lang so etwas wie ein Zuhause – sein Fluchtort vor dem gewalttätigen Vater. 

Horst kommt von „hurst“, steht für Gebüsch oder Unterholz und bedeutet der Mann aus dem Wald. Auf die Frage, wie es denn war, als Kind, allein im Wald, in der Schlucht, meint er nüchtern: „Ich habe nie jemanden gehabt. (Lacht.)  Mein Vater hat den Fehler gemacht, dass er oft mit uns Kindern dorthin gegangen ist. Da sind meine Fluchtpläne entstanden. Ich habe viel gelesen, was ich in der Natur essen darf und was nicht. Worauf ich achten muss, damit mich keiner findet.“ Schwer ist ihm allerdings gefallen, seine Schwester und Oma beim Vater zurückzulassen, dort, wo nur Gewalt und Geschrei herrschten. 

Haltlos

Die Schläge ließ er über sich ergehen. Horst beschloss, sich nie mehr wehtun zu lassen, auch als ihn die Polizei erneut und in regelmäßigen Abständen immer wieder in das „Horrorhaus“ – zum Vater – zurückbrachte.  Die Schläge hinterließen dennoch ihre Spuren. Horst betäubte sich mit Alkohol und Opiaten und geriet – wie er sagt, in die Enge getrieben – immer tiefer in einen Sog aus Hass und Gewalt sowie in zwielichtige Kreise. Die Krankenhausaufenthalte nach Unfällen und durch seine chronische Erkrankung wurden häufiger: „Es gibt dort ein Bett für mich, das ist immer reserviert.“ Geschlossener Strafvollzug, Gewaltexzesse, Abhängigkeit, 20 Jahre Obdachlosigkeit, Armut, Entzug, gescheiterte Beziehungen, Schmerz, und dennoch sagt er heute: „Gott hat mich durchs Leben getragen.“

Haltsuche

In der Einzelhaft im Gefängnis gab es nur ein Buch. Die Bibel. Horst hat immer wieder darin gelesen. Erst vor kurzem ist er aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, um den Mormonen beizutreten. Warum ausgerechnet diese Glaubensgemeinschaft? Weil sie immer für Horst da waren. „Selbst als es ganz schlecht um mich stand. Die haben gesehen, wie ich als Messie gehaust und viel zu viel getrunken habe. Sie sind trotzdem immer wieder zu mir gekommen.“

Horst plant gern. Er überlässt nichts dem Zufall. Selbst unseren Treffpunkt, die gemütliche Hotellobby in ruhiger Stadtlage in Salzburg, hat er schon vorab besichtigt.  Heute ist er schon früher gekommen, er fühlt sich wohl hier. „Fast wie daheim im Wohnzimmer. (Lacht)“. Seine Freude rührt aber auch daher, dass er aufgeregt ist. Wie damals, als er bei Vera Russwurm in der Talkshow zu Gast war.  Auch heute steht er wieder im Rampenlicht. Fast schon berühmt. Außerdem hat er ein wichtiges Anliegen. Er wünscht sich Unterstützung für die Umsetzung seines nächsten Planes: Mit seinem Luxusgefährt, einem elektrisch betriebenen Dreirad, nach Berlin fahren. Trainiert hat er schon. Er ist in zwei Jahren 7.000 Kilometer gefahren, quer durch Österreich, 25 Kilometer die Stunde. Stehen lässt er sein Dreirad nur, wenn es eisig ist. Wie heute, dann nimmt er den Bus. Und weil er jetzt keine „Larifari-Sachen“ mehr machen will, soll es professionell sein: Horst will über seine Fahrt berichten, sein Abenteuer mit Helmkamera aufnehmen. Was ihm noch fehlt? Ein Zelt in Leichtbauweise, Schlafsack, Jacke. Er wünscht sich Kontakt zu einem Hersteller, der ihm das Material zum Testen zur Verfügung stellt. Horst möchte seine Reise bewerten, posten, darüber berichten. Starten will er an seinem Glückstag. Das ist der 13. März. Heuer ist er an diesem Tag schon vier Jahre ganz ohne Alkohol und Drogen unterwegs.

Horst chattet für sein Leben gern, am liebsten mit seiner Familie. Mit seinen Schwestern, dem Schwager und seinem Halbbruder. Ständig hängt er am Handy, scrollt, sucht Bilder, Videos, erzählt, wo seine Lieben gerade sind und was sie umtreibt.

Der 61-Jährige ist stolz auf sein Leben.  Seinen Wohnwagen würde er niemals eintauschen – nicht einmal gegen eine geschenkte Wohnung. „Mein Zuhause muss mindestens vier Räder haben“ – seine paar Quadratmeter Glück mit allem Drum und Dran: großes Bett, Küche, Dusche & WC, Vorraum, Sitzecke und eine schöne Aussicht hat er auch. 

„Mei, i bin a Clown“

Horst findet Rot unwiderstehlich. Seine nietenbesetzte Handtasche ist signalrot, er kramt und sucht darin. Er will sein Buch „Unter der Brücke“ herzeigen. Er hat es leider nicht dabei und lächelt: „I bin so a Clown.“  Seine Armreifen klappern, einer funkelt purpurrot. Seine tätowierten Hände und Arme schimmern in unterschiedlichen Rottönen:  feuerrote Flammen stehen für Wärme, Liebe, Geborgenheit. Die große rote Rose am linken Unterarm, die hat er als Erstes stechen lassen, im Gefängnis damals. Die Dornen sieht er als Schutz, der scharlachrote Ara steht für Freiheit. Die ist ihm besonders wichtig. Damals wie heute. Als Kind hat er hart dafür gekämpft, endlich frei zu sein. Wegzukommen von seinem Vater, von den Erniedrigungen und Schlägen. Jetzt ist er dankbar, dass er sein Leben gestalten kann, wie er es möchte. Selbstbestimmt sein. So, wie es seinen Vorstellungen entspricht.  

Ein mittelschönes Leben

Die schönste Arbeit, sagt er, war für ihn in der Landwirtschaft, mit der Natur und ohne „Chef zum Schikanieren“. Als Senner hat er Butter und Käse produziert. Mit Leidenschaft. Weniger gern erinnert er sich an Anstellungen in der Gastronomie, wo er viel gearbeitet und oft vom Arbeitgeber nicht einmal korrekt angemeldet und versichert worden war. Horst hat viel erlebt und ganz viel zu erzählen. Ungewöhnliches, Heiteres, Unglaubliches. In all seinen Geschichten schwingen Hoffnung, Dankbarkeit und Zuversicht mit.

Sein persönliches Rezept, immer wieder schwierige Situationen zu meistern, verrät er uns am Ende auch noch: „Ich frage mich immer: Ist das was für mich? Oder nicht? Und dann entscheide ich. So einfach ist das.“