„Ich bin eine Kämpferin“
Autor Manfred Baumann im Gespräch mit Apropos-Verkäuferin Vasilica Onica.
von Manfred Baumann
Wir treffen uns im Hotel Auersperg. Um 15 Uhr 30. So ist es mit Apropos-Redakteurin Judith Mederer ausgemacht. Wir sind im Freien, befinden uns im Garten, der zum Hotel gehört. Als ich eintreffe, macht Andreas Brandl gerade Fotos. „Vasilica, bitte jetzt den Kopf anheben.“ Er zeigt es vor. Die dunkelhaarige Frau auf dem Rasen folgt seiner Anweisung, begibt sich in Positur, mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie das jeden Tag machen. „Danke, Vasilica, und jetzt zur anderen Seite in diese Richtung blicken.“
Eine sympathische Erscheinung, finde ich. Das Lächeln der Frau fällt auf.
Bald darauf sitzt sie mir am kleinen Gartentisch gegenüber. Das Lächeln beeindruckt mich nach wie vor. Einerseits vermittelt dieses Lächeln eine Spur von Scheuheit. Zugleich drückt die Miene im Gesicht dieser Frau eine wahrnehmbare Entschlossenheit aus. Was immer jetzt auf mich zukommt, ich will es gut machen. So bin ich, vermittelt mir ihr Blick.
Ich halte Vasilica Onica die Hand hin. Bună ziua! Ich bemühe mich, die Aussprache einigermaßen so hinzubekommen, wie ich es im Internet hörte. Sie nimmt meine Hand zur Begrüßung. Ihr Lächeln wird um eine Spur heller. „Bună ziua!“ Ah, so sollte es klingen. Ich denke, ich habe es aber einigermaßen gut hinbekommen. Ich nicke Alina zu, der Dolmetscherin, die mit uns am Tisch sitzt. Dann blicke ich wieder Vasilica an. Wie geht es Ihnen? „Gut“, sagt sie, noch ehe die Dolmetscherin meine Frage übersetzt. Sie verstehen mich? Sprechen Sie Deutsch? „Bissel, bissel“, kommt ihre Antwort. Wieder ohne Hilfe der Dolmetscherin. Im Laufe unseres Gesprächs wird Vasilica noch einige Mal meine Fragen direkt beantworten. Sie haben heute schon Zeitungen verkauft, beginne ich das Gespräch. Zufrieden mit dem Verkaufserfolg? Ja, es sei sehr gut gelaufen. Sie habe viele Zeitungen angebracht. Ihr Standplatz sei nicht in der Stadt Salzburg, erfahre ich. Sie verkaufe in Oberndorf. Auf dem Kirchplatz. Gegenüber der Kirche, direkt neben einem sehr gefragten Fleischhauereigeschäft. „Gut, gut, alles gut“, lacht sie. Und fügt hinzu: „Gottseidanke.“ Sie bekomme gelegentlich etwas aus dem Metzgerei Feinkostgeschäft als Geschenk mit. Alle Menschen seien sehr freundlich zu ihr. Auch der Pfarrer, erzählt sie. Der spendiere ihr ab und zu sogar ein wenig Extrageld. Und wenn sie Weihnachten nach Hause fahre, gebe ihr der Pfarrer sogar 50 Euro als Geschenk mit. Es gehe ihr sehr gut in Oberndorf, betont sie mehrmals. Wie haben Sie diesen Standplatz in Oberndorf gefunden? Sie erzählt es mir. Durch Bekannte. Und sie geht dabei auch auf meine Frage ein, wie sie überhaupt nach Salzburg gekommen sei. Bekannte, die schon länger in Österreich waren, die hier arbeiteten und Zeitungen verkauften, hätten davon erzählt. Sie und ihr Mann folgten dann bald dem Rat der Bekannten, ebenfalls hierher zu kommen. Das sei vor zehn Jahren gewesen. Vasilica Onica stammt aus einem kleinen Ort. Berevoeşti. In der Nähe der größeren Stadt Câmpulung Muscel, etwa 170 Kilometer nordöstlich von Bukarest. In der kommunistischen Zeit hatten sie Arbeit. Sie waren gelegentlich für einen landwirtschaftlichen Genossenschaftsbetrieb tätig. Nach dem Sturz von Ceaușescu gab es keine Arbeit mehr. Weder für sie noch für ihren Mann, bedauert sie. Dennoch haben sie vier Kinder großgezogen. Die sind inzwischen alle erwachsen, zwischen 25 und 37 Jahre alt. Auch für ihre Kinder gibt es so gut wie keine Arbeit. Enkelkinder habe sie auch. Es sind drei. Der Hauptgrund, warum Vasilica zusammen mit ihrem Mann vor zehn Jahren Rumänien verlassen hat, ist eindeutig. Sie wollten, sie mussten Geld verdienen, um für die Kinder zu sorgen. Unbedingt. Mehrmals im Jahr fahre sie zusammen mit ihrem Mann in die Heimat, nach Rumänien, bringe Geld zu ihrer Familie. Geld, das vor allem Vasilica durch unermüdliches Verkaufen von Apropos-Zeitungen verdient. Ihr Mann verkaufe auch Zeitungen. In der Stadt. Aber es gehe ihm nicht gut. „Meine Mann 160 Kilo …“, sagt sie. Er könne nicht viel arbeiten, verdiene wenig. Nun wirkt das Lächeln verlegen.
Sie können viel arbeiten?, frage ich. Sie muss arbeiten, kommt ihre Antwort schnell. Jetzt lächelt sie nicht mehr. Egal, was mit ihr ist, Hauptsache, den Kindern gehe es gut. Mit dem Erwähnen der Kinder kommt das Lächeln zurück. Ich spreche sie darauf an, ihr Lächeln sei mir von Anfang an aufgefallen. „Lachen ist besser“, sagt sie. Wenn sie traurig ist und weint, gehe es ihr gesundheitlich schlecht. Sie hat Diabetes, erfahre ich. Und anderes. Ärgern, sich aufregen, unter Stress kommen, das schade ihr sehr. Also besser lachen, äußert sie. Sie muss Medikamente nehmen, erfahre ich. Sie ist krank. Aber sie wird das alles schon schaffen, meint sie.
Sie sind eine Kämpferin, sage ich. Und jetzt hellt sich ihr Gesicht völlig auf. Ihre Augen leuchten. „Exakt“, sagt sie. „Exakt.“ Sie spricht weiter, Alina übersetzt. „Ja, das hast du auf den Punkt getroffen. Ich bin eine Kämpferin.“ Aber immer eine Kämpferin zu sein, das mache auch müde, füge ich hinzu. „Wenn ich nicht mehr kann“, ist ihre Antwort. „dann setze ich mich nieder. Durchatmen. Dann schaffe ich es schon.“
So wie sie für ihre Familie bisher unglaublich vieles geschafft hat. Seit sie regelmäßig Geld in ihre Heimat bringen konnte, hat Vasilica es sogar geschafft, das kleine alte, baufällige Häuschen ihrer Familie wieder instand zu setzen. Bei jedem Besuch, mit ganz wenig dafür zur Seite gelegtem Geld, ein weiteres Stück Renovierungsarbeit.
Es sind nur zwei Zimmer in diesem Häuschen. Derzeit wohnen die beiden Töchter darin mit den Kindern. Die älteste Tochter, 37, wartet nur bis ihre Tochter, die Siebzehnjährige, achtzehn wird. Dann werden beide ausziehen, auch nach Österreich kommen. Vasilicas Schwiegersohn, der Mann der ältesten Tochter, ist schon hier. Er hat sogar Arbeit im Flachgau gefunden. Wann fahren Sie das nächste Mal heim nach Rumänien? „Bald“, antwortet sie. Dann wird sie Geld mitbringen. Und viel Schokolade. Sie selbst stamme aus einer großen Familie. Sie hat acht Geschwister. Die wohnen alle in der Nähe, tauchen immer auf, wenn bekannt wird, dass Vasilica wieder da ist. Brüder, Schwestern, Nichten, Neffen. Und die bekommen alle etwas von ihr, wenigstens eine Kleinigkeit. Das wird so erwartet. Und sie will es auch so.
Wenn sie mitbekommt, dass es ihren Kindern, ihrer Familie, gut geht, dann mache sie das glücklich. Sie kann mit Kindern und Enkelkindern sogar immer wieder mal von Salzburg aus telefonieren, sie dabei auch sehen. Über WhatsApp. „Caritas hat WLAN für Internet“, erklärt sie. Und das könne sie benutzen. Sie und ihr Mann finden fast immer Platz in der Caritas Notschlafstelle im Haus Franziskus. Ihr Handy läutet. „Meine Mann“, sagt sie. „Telefonieren …“ Sie nimmt das Telefon, spricht mit ihm. Er wolle wissen, wann sie komme, erklärt sie. Sie habe ihn ersucht, beim Interview dabei zu sein. Aber er schaffe es nicht. Seine Füße schmerzen. „160 Kilo“ bringt sie ein weiteres Mal als Erklärung vor, fast entschuldigend. Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind? Vasilica nickt bereitwillig. „57 Jahre“. Geboren im Februar, fügt sie hinzu. Sternzeichen Fische. Ich ergänze: Fische sind gemäß Horoskop geduldig. Nehmen alles auf sich, sind einfühlsam und hilfsbereit. Ihr Lächeln, das während unseres Gesprächs nur selten versiegte, kehrt strahlend zurück. „Fische sind Kämpfer im Wasser“, betont sie und klopft sich sanft auf die Brust. „Ich bin eine Kämpferin.“