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Ich habe das Gefühl, Teil dieser Gemeinschaft zu sein
Durch einen Zufall landet Apropos-Verkäufer Igboanugo Anyichukwu im Salzkammergut – und findet ausgerechnet am Wolfgangsee ein neues Zuhause. Im Gespräch mit Autor Matthias Gruber erzählt er vom Ankommen und Wurzeln- schlagen.
von Matthias Gruber
Als Igboanugo Anyichukwu zum ersten Mal nach Salzburg kommt, tut er etwas, das viele tun: Er steigt in den Bus 150 Richtung Bad Ischl. Doch während seine Sitznachbar:innen voller Vorfreude ihre Kameras zücken, will Igboanugo eigentlich zur Notschlafstelle der Caritas. Weil der Busfahrer aber vergisst, ihn an der richtigen Haltestelle aussteigen zu lassen, macht er die Reise durch das Postkartenidyll mit – bis zur Endstation, wo der vergessliche Fahrer den Irrtum aufklärt.
Wenig später wird Igboanugo an diese Irrfahrt zurückdenken. Auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz erinnert er sich daran, an der Ortseinfahrt von St. Gilgen einen Supermarkt gesehen zu haben. Er nimmt ein zweites Mal den Bus ins Salzkammergut und stellt sich den Eigentümer:innen des Geschäftes als Apropos-Verkäufer vor. Und so kommt es, dass die Verkäuferlaufbahn des Mannes aus einem Dorf im Süden Nigerias ausgerechnet in St. Gilgen am Wolfgangsee beginnt.
Sechs Tage die Woche verkauft Igboanugo seine Zeitungen an die Einheimischen und Feriengäste des Ortes. Was er dabei verdient, spart er eisern, und wenn die Sommerfrischler abends in ihre Hotels zurückkehren, schlüpft er in seinen Schlafsack. Wochenlang schläft er in einem Gebüsch, wäscht sich unten am See und isst, wie er selbst sagt, wie ein Hund. Nur um am Morgen darauf wieder vor dem Supermarkt zu stehen. Rückblickend, sagt er, sei er froh über diese Erfahrung. Weil er jetzt wisse, was es bedeute, kein Dach über dem Kopf zu haben. Es ist eine Sichtweise, die zu dem leisen und nachdenklichen Mann passt. Ein stiller Glaube, dass im Leben nichts ohne Grund geschieht.
Und doch gibt es Dinge, an die er sich zu Beginn erst gewöhnen muss. Die Kälte im Winter, die er aus der Heimat nicht kennt. Die leeren Straßen am Heiligen Abend. Die Art der Menschen, einen Fremden nicht zu grüßen. Und trotzdem sei er gerne hier. Als eine Art inneren Frieden beschreibt er das Gefühl, das er seit seiner Ankunft in St. Gilgen verspüre. Und dass er sich als Teil dieser Gemeinschaft fühle, auch wenn er noch nicht viele Menschen kenne. Nur einmal beschimpft ihn ein älterer Mann lautstark vor dem Supermarkt und meint, er solle verschwinden und sich eine richtige Arbeit suchen. Ob das Rassismus sei? Igboanugo denkt eine Weile nach und schüttelt dann den Kopf. Was wisse der Mann schon über seine Kämpfe von gestern und seine Pläne für morgen. Und über die tägliche Anstrengung, die es erfordert, um von diesem zu jenem zu gelangen. Er braucht ein Zimmer und einen festen Job. Und dann soll das Geld eines Tages reichen, damit auch seine Frau und seine Tochter nach Österreich kommen können.
Als die Eigentümer:innen des Supermarktes herausfinden, dass Igboanugo im Freien schläft, helfen sie ihm dabei, ein Zimmer zu finden. Es ist ein wichtiger Schritt, vielleicht der wichtigste für einen Menschen, der auf der Straße lebt: Denn mit einer Adresse steigen die Chancen auf einen Job und ein festes Einkommen. Eine Stelle in einer Reinigungsfirma hat er mittlerweile in Aussicht. Und dann ist da noch sein Nebeneinkommen als Marktfahrer. Jeden Sonntag kommt Igboanugo nach Salzburg, um am Flohmarkt in der Münchner Bundesstraße Dinge zu verkaufen, die er geschenkt bekommt oder von anderen kauft. Die Leute wüssten gar nicht, welche Schätze in ihren Kellern und auf ihren Dachböden herumliegen. Und wie wertvoll der vermeintliche Ramsch für viele Menschen in seiner Heimat sei. Schließlich erzählt er von der Hoffnung, durch diesen Artikel Leser:innen zu erreichen, die etwas abzugeben hätten, das sich zum Verkauf eigne. Wenn er von der Arbeit am Flohmarkt spricht, dann hört man, dass es eine Tätigkeit ist, der er mit Leidenschaft nachgeht. Das Ein- und Verkaufen der Waren, das Festlegen der Preise und das Gespräch mit den Kund:innen. Es ist sein Talent. Wer weiß, wohin es ihn noch führt