„Mein Traum? Einfach glücklich sein“

 

von Elisabeth Escher

 

Salzburg im Dezember:  Schneematsch und Nebel, der den Kapuzinerberg herunterkriecht. Es gibt wohl keinen größeren Kontrast zu Nigeria, Happys Heimatland, wo laut Auskunft meiner Interviewpartnerin die durchschnittliche Temperatur um diese Jahreszeit bei 35 Grad liegt und die Sonne vom Morgen bis zum Abend ungetrübt vom Himmel strahlt. 

Kein Wunder also, dass mich Akhue Happy vor dem Redaktionsgebäude von Apropos eingehüllt in Mantel, Schal und Wollmütze erwartet. Sie legt diese Kleidungsstücke aber auch im warm beheizten Raum des Gebäudes, in dem wir unser Gespräch führen, nicht ab. Mein erster Gedanke ist, dass es nicht leicht werden wird, diese junge Frau dazu zu bewegen, mir Vergangenes wie auch Gegenwärtiges aus ihrem Leben anzuvertrauen. Vieles, das sie schon in so jungen Jahren erleben musste, holt sie wohl nicht gerne aus den Tiefen der Erinnerung an die Oberfläche. Der Mantel jedenfalls bleibt für die Dauer unseres Gesprächs bis oben zugeknöpft. 

Drei Mal werde ich sie lächeln sehen. 

Akhue ist 18 Jahre alt, als sie Nigeria verlässt. „Keine Arbeit, kein Geld, keine Zukunft. Angst und Krieg“, antwortet sie auf meine Frage nach dem Warum.  

„Sie haben sich ganz alleine auf den Weg gemacht?“, frage ich. 

Mit ihrer Aunty sei sie aufgebrochen, ohne Gepäck, ohne Pass, ohne alles, sagt sie mir. Gemeinsam haben sie Libyen erreicht, irgendeinen Küstenort, mehr als 2000 Kilometer von ihrem Heimatdorf in Nigeria entfernt. Von dort ging es mit dem Boot weiter nach Italien. „Mit dem Boot?“, hake ich unwillkürlich nach und die schrecklichen Bilder ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Akhue nickt nur. Dann schweigen wir. „Es kam Wasser ins Boot“, sagt sie schließlich, „viel Wasser“. Ich wage nicht zu fragen, ob alle im Boot die Überfahrt überlebten. Wir waren an die hundert Personen im Boot, wir hatten Glück, wir sind alle in Italien angekommen“, befreit Akhue mich von meinen schlimmsten Befürchtungen. Allerdings habe sie ihre Aunty aus den Augen verloren, fügt sie hinzu, denn die musste in ein anderes Boot steigen. Akhue hat von ihrer Tante seitdem nichts mehr gehört. Genauso wenig wie vom Rest ihrer großen Familie in Nigeria. „Kein Kontakt. Die ganzen fünf Jahre nicht“, sagt sie.

Ob sie Heimweh habe, frage ich. Wieder ist Akhues Antwort ein stummes Nicken. Warum denn kein Kontakt mit der Familie möglich sei, mit dem Smartphone müsste das doch machbar sein, werfe ich ein. „Geht nicht“, sagt sie nur, und ihrem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass sie darüber nicht weiter reden will. 

Mittlerweile ist Akhue seit fünf Jahren in Österreich. Nach Unterbringungen in diversen Flüchtlingsunterkünften in Oberösterreich sei sie schließlich in Salzburg gelandet, durch einen Freund, wie sie mir sagt. Und hier habe sie großes Glück gehabt und bei Apropos einen Job als Straßenverkäuferin bekommen. Das erste Mal, seit wir miteinander reden, deutet sie ein Lächeln an.  

„Wie läuft denn so ein Tag als Apropos-Verkäuferin ab?“, frage ich mit dem Gefühl, nun sichereres Terrain betreten zu haben. Tatsächlich scheint sich der Knoten etwas gelöst zu haben, denn Akhue erzählt: „Ich arbeite jeden Tag von 9 Uhr früh bis 17 Uhr. Die meisten Leute, die im Spar einkaufen, sehen einfach an mir vorbei, sie sind daran gewöhnt, dass ich hier stehe, aber manche sind freundlich und fragen sogar, wie es mir geht.“ Wie viele Exemplare sie denn am Tag im Schnitt so verkaufe, möchte ich wissen. „An schlechten Tagen fünf, an guten zehn. Immerhin so viel, dass ich um die 400 Euro im Monat verdiene.“

„Kann man denn mit 400 Euro im Monat über die Runden kommen?“, frage ich.

„Geht“, meint Akhue, denn sie wohne bei einem Freund, dort müsse sie keine Miete zahlen.

Den Freund kenne sie von der Kirche, die Kirche sei überhaupt hier in Salzburg zu ihrer Familie geworden. Nun zeigt sich zum zweiten Mal ein Lächeln auf Akhues Gesicht. 

Nun interessiert mich, um welche Kirche es sich denn da handle. „Omega fire ministries“. Akhue muss mir den Namen dieser Glaubensgemeinschaft aufschreiben, sie ist mir völlig fremd. Ich erfahre von ihr, dass es sich dabei um eine Art Freikirche handelt, die überall auf der Welt ihre Zentren hat, auch in Salzburg. „Ich bin dort jeden Sonntag und oft auch während der Woche. Das Zentrum ist ein Treffpunkt für gläubige Menschen aus meiner Heimat und anderen afrikanischen Ländern. Dort wird nicht nur gebetet, sondern auch gesungen und getanzt. Und man ist dort nicht einsam.“ Lebensfreude blitzt in Akhues Augen auf. Wenn wir über ihre Gegenwart reden, scheinen sich die Schatten der Vergangenheit zu lichten. Was sie denn sonst noch gerne mache, in ihrer Freizeit, frage ich. 

„Kochen“, kommt prompt ihre Antwort und sie verrät mir auch ihre Lieblingsgerichte, wobei bei allen Reis die Hauptrolle spielt: Reis mit Bohnen, Reis mit Gemüse, Reis mit Fisch, Reis mit Tomatenmark, und zu allem viel Chili, denn scharf muss es sein. Kochen würde sie gerne auch zu ihrem Beruf machen, es richtig studieren, sagt sie, und dann würde sie in einem guten Restaurant für viele Gäste kochen, nicht nur afrikanische Gerichte, sondern international. 

Ob sie denn auch gerne einmal für eine eigene Familie kochen möchte, frage ich. „Auf jeden Fall“, sagt sie, ohne zu zögern, „aber vorher möchte ich noch Deutsch lernen“, fügt sie hinzu.

Wir haben unsere Unterhaltung automatisch auf Englisch geführt, jetzt erfahre ich von ihr, dass sie seit drei Monaten einen Deutschkurs in der Volkshochschule besucht. Sie verstehe noch viel zu wenig, um sich auf Deutsch unterhalten zu können, meint sie, aber sie mache Fortschritte. 

„Und sonst?“, frage ich abschließend, „Haben Sie sonst noch Träume für die Zukunft?“

„Einfach glücklich sein“, sagt Akhue Happy, und schenkt mir ihr drittes Lächeln.