Ohne Zögern, ohne Grenzen
Ein Leben ohne Zögern
von Natalie Zettl
Ganz oder gar nicht. Keine halben Sachen. Oder, kunstvoller verpackt: „Wer auf bessere Zeiten wartet, verschlechtert seine Ausgangsposition am Start zur Zukunft.“ (Ernst Ferstl) All diese Sprichwörter besagen dasselbe: Entweder mach es ganz oder lass es ganz bleiben.
Im Laufe meines Erwachsenenlebens habe ich diese Philosophie für mich entdeckt. Denn rückblickend hat sich erwiesen: Die meisten Steine habe ich mir selbst in den Weg gelegt, wenn ich mir meiner Sache nicht sicher war und ewig hin und her gezaudert habe, bis ich endlich eine – oft von Zweifeln begleitete – Entscheidung getroffen habe.
Das Zweitstudium, bei dem ich haderte, ob es das Richtige für mich war. Der Traumjob im Journalismus, bei dem ich vor Abschicken meiner Bewerbung zweifelte, ob ich gut genug dafür war. Der Abenteuerurlaub, der schon so lange halb vergessen auf meiner Bucketlist herumdümpelte, dass ich allmählich aufhörte zu glauben, dass ich jemals dafür meine Koffer packen würde. Der geplante Roman, bei dem ich zwar meine Kreativität schon sprudeln fühlte, bei dem ich mich aber fragte, ob die Personen, von denen doch erkennbar Facetten in die Handlung eingeflossen waren, nach der Veröffentlichung noch imstande wären, unbeschwert mit mir umzugehen. Letzten Endes lernte ich: Wenn ich am Scheideweg auf mein Bauchgefühl hörte und mich danach entschied, schnell und schmerzlos (naja, in manchen Fällen auch ziemlich schmerzvoll, aber immerhin schnell), dann war es in 99 Prozent der Fälle richtig. Wer sich entschieden hat, kann aufatmen. Durchatmen. Ist befreit. Kann sich neu erfinden, die Segel neu setzen. Ich bewarb mich also auf den Traumjob (und bekam ihn!), schrieb den Roman, fand zu mir selbst. (Nur der Abenteuerurlaub: Der muss wohl noch ein bisschen warten, da die Bucketlist immer länger wird – aber damit kann ich leben.) Und ich bin mir sicher: Wer aktiv sein Dasein gestaltet hat, kann am Ende des Lebens zufrieden in den Spiegel schauen und sagen: „Es war alles für etwas gut.“ Zögern dagegen – das ist für gar nichts gut, außer für den Zahn der Zeit. Und übrigens: Noch nie in den 31 Jahren meines Lebens habe ich jemanden sagen hören: „Hätte ich doch bloß nicht auf meine Intuition gehört.“
Ohne Grenzen
von Gabor Karsay
Es gab einmal eine Zeit in Europa, da war eine Grenze etwas, wovor man Angst hatte. Als Kind habe ich öfter solche Grenzen überquert, meist zwischen sogenannten verbrüderten Staaten im Osten. Die Grenzer waren nicht so freundlich, eher unwirsch, misstrauisch, gelangweilt und derart regungslos beim Überprüfen der Papiere, dass man sich fragte, ob in ihnen überhaupt etwas vor sich ging. Die kleinste Bewegung gab Anlass zu Spekulationen; wenn einer plötzlich die Augen leicht zusammenkniff, war das etwas in diesen Papieren, das seinen Argwohn geweckt hatte? Oder waren es nur die Linsen von gestern Abend, die sich bemerkbar machten?
Grenze bedeutete warten. Lange. Über allem schwebte eine Ungewissheit, was alles passieren könnte. Wenn die Eltern, die sonst alles wussten und mir auch alles erklären konnten oder hätten erklären können, wenn sie nicht wieder mal zu müde waren oder keine Zeit hatten oder man selbst ins Bett musste, obwohl es noch viel zu früh war, wenn also selbst sie unruhig wurden, während das Auto an diesen bewaffneten Uniformen vorbeirollte, dann war das schon etwas, das einen Eindruck hinterließ.
Später, nachdem wir die Grenze zu Österreich überschritten hatten, war sie für uns zu und es gab kein Zurück mehr. Die Grenze trennte alles, was davor gewesen war, von allem, was noch kommen sollte.
So waren es für mich ganz ungewöhnliche Ereignisse, als der Stacheldraht an dieser Grenze zerschnitten wurde und keine zehn Jahre später die Kontrollen nach Bayern fielen. Neue Generationen können nur schwer nachvollziehen, was es bedeutet, jederzeit über die Grenze fahren, aber auch jederzeit wieder zurückkommen zu können, im Normalfall ohne Kontrollen. Sie hupen sogar die Grenzer an, weil ihnen die Fahrt nach Freilassing zu lange dauert. Dass sie dann prompt herausgewunken werden, ist eine andere Sache.