Titelinterview mit Bruder David Steindl-Rast
Was bedeutet für Sie Verbindung?
Bruder David: Wenn es um Verbindung zwischen Menschen geht, ist das Wichtigste das Hinhorchen. Wirklich im Augenblick da zu sein. Zur Verbindung gehört auch immer gemeinsames Tun. Heutzutage erscheint mir, dass wir in unserer Welt mit Problemen und Herausforderungen konfrontiert sind, die man nur gemeinsam lösen kann. Und zwar nur auf der größten gemeinsamen Ebene: alle Menschen zusammen. Nicht einmal ein Erdteil kann sich alleine der Klimakatastrophe entgegenstellen. Wir sind wirklich darauf angewiesen, als eine Weltgemeinschaft gemeinsam zu arbeiten. Das ist natürlich viel zu groß für uns als Einzelne. Darum müssen wir dort anfangen, wo wir sind – und mit den Leuten, mit denen wir zusammenkommen, wirklich in Verbindung treten. Das heißt wirklich hinhorchen, wirklich bereit sein, gemeinsam zu arbeiten, sich einzusetzen und alles loszulassen und auszuschalten, was sich der Verbindung entgegenstellt. Alles, was Mauern baut, stört die Verbindung.
Womit verbinden Sie sich täglich?
Bruder David: Ich bemühe mich genau um dasselbe: hinzuhorchen. Das Wichtigste ist immer das, was das Leben uns im Augenblick aufgibt. Da gehören auch Störungen dazu. Entscheidend ist für mich dabei, keinen konkreten Plan zu haben, sondern ich konzentriere mich auf ein klares Ziel. Den Plan, dieses Ziel zu erreichen, überlasse ich dem Leben. Solange ich mich ganz auf das Ziel ausrichte und alle Gelegenheiten wahrnehme, die mir das Leben im gegebenen Augenblick entgegenbringt, werden sie mich dem Ziel näherbringen.
Was ist Ihr Ziel?
Bruder David: Einfach eine glücklichere Welt. Frieden. Ein Friede, der weit darüber hinausgeht, dass kein Krieg ist, der weit darüber hinausgeht, dass kein Konflikt ist. Friede als Fülle des Lebens.
Was trägt dazu bei, Frieden herzustellen?
Bruder David: Zunächst einmal zu versuchen, in sich selbst zum Frieden zu kommen. In uns ist doch meistens Widerstreit zwischen allen möglichen Dingen. Da hilft am meisten Stille. Immer wieder die Möglichkeit zu haben, alleine zu sein, Stille zu finden und ein Privatleben zu haben, ist ein riesiger Luxus. Ein ganz wichtiger Teil vom Elend dieser Welt besteht darin, dass viele Menschen keinen Privatraum haben.
Wie stellen Sie Verbindung her?
Bruder David: Der Ausgangszustand ist schon, dass alles mit allem verbunden ist. Dazu brauchen wir gar nichts mehr beizutragen. Es genügt schon, wenn wir die natürliche Verbundenheit nicht stören. Dann entfaltet sie sich von selbst.
Was sind die Hindernisse?
Bruder David: Hindernisse sind auf vielen Ebenen Vorurteile. Zunächst einmal im landläufigen Sinne, dass man ein Vorurteil hat gegen gewisse Leute, Gruppen und Typen, Weltanschauungen oder Religionen. Dass man jemanden oder etwas nicht mag. Vorurteil aber auch in dem Sinn, dass man schon vorher ein Urteil getroffen hat, was sein müsste oder was besser wäre. Darum misstraue ich selbst meinen besten Plänen; ich vertraue, wie bereits gesagt, dass das Leben seine eigenen Pläne hat, mich meinen großen Zielen näherzubringen, wenn ich mich nur bemühe, so weit wie möglich im Augenblick zu leben. Denn das Leben gibt uns in jedem Augenblick alles, was wir brauchen. Aber es verlangt auch etwas.
Was verlangt das Leben von uns?
Bruder David: Zum Beispiel verlangt es von mir in diesem Augenblick, Ihnen gut zuzuhören und bereit zu sein, zu antworten. Meistens verlangt das Leben von uns, dass wir die Gelegenheit ergreifen, uns zu freuen. Wir übersehen das aber häufig. Das Schöne ist: Das Leben schenkt uns immer wieder neue Gelegenheiten. Wenn man eine Gelegenheit verpasst, kommt die nächste. Darauf kommt es am meisten an: Im Augenblick zu leben und sich immer wieder in den Augenblick zu bringen. Und zu versuchen, dem Anspruch, den das Leben in diesem Augenblick an uns stellt, gerecht zu werden.
Wie bringen Sie sich in den Augenblick?
Bruder David: Das muss man schon üben. (Schmunzelt). Das Üben besteht darin, dass man immer wieder lernt, innezuhalten. Wir leben in einer sehr raschlebigen Zeit. Alles will immer schnellstens erledigt sein. Wir schwimmen in einem Strom, der uns wegreißen will. Da muss man schon eine gewisse Bemühung einsetzen, um immer wieder innezuhalten. Aber wenn man das übt, dann genügt der Bruchteil einer Sekunde, um sich in die Gegenwart zu bringen. Das muss man sich halt bewusst vornehmen und immer wieder üben. Mit der Übung wird’s leichter.
Wann fühlen Sie sich getrennt?
Bruder David: Manchmal bin ich selber schuld, dass ich mich getrennt fühle. Zum Beispiel, wenn mir jemand unsympathisch ist, das kommt ja vor. Oder Kleinigkeiten, dass jemand eine unangenehme Stimme hat, laut ist oder sich vordrängt. Dass mich das ärgert, hindert natürlich die Verbindung. Aber das ist verhältnismäßig selten und auch nicht das Schwierigste.
Was ist das Schwierigste?
Bruder David: Das Schwierigste ist, wenn das Hindernis vom Gegenüber kommt. Von Menschen, die einfach nicht im Augenblick sind. Sie hetzen durchs Leben, haben eine Idee, wollen etwas erreichen, haben ihre vorgefassten Pläne, jagen ihnen nach und sind daher nicht verfügbar. Die Vorübereilenden. Wie soll man mit jemandem in Verbindung treten, wenn er nicht da ist? Innehalten muss auf beiden Seiten vorhanden sein.
Sie haben sich im Laufe Ihres Lebens immer wieder mit Vertretern anderer Religionen vernetzt. Was ist das Verbindende zwischen den Religionen?
Bruder David: Da müssen wir zunächst unterscheiden zwischen der allen Menschen angeborenen Religiosität und den Religionen. Zu der Zeit, wo eine Religion gegründet wird, verfestigt sich eine von den vielen möglichen Ausdrucksformen der allgemein menschlichen Religiosität – der Begegnung mit dem großen Geheimnis. Aber auf diese Religiosität kann man immer wieder von jeder der Religionen zurückgreifen. Auf dieser Basis kann ein Christ von einem Mohammedaner etwas lernen und umgekehrt, und sie können sogar gemeinsam beten. Bei der Annäherung der verschiedenen Religionen als Institutionen sehe ich eher schwarz. Sie nähern sich vielleicht unter Druck an oder aus politischen Gründen, vielleicht auch mit guter Absicht, aber jede Institution will sich letztlich von der anderen abgrenzen. Aber in der allgemein-menschlichen Religiosität, die das Leben als Ganzes sieht und jeder Religion auf verschiedene Weise zugrunde liegt, sind wir von Anfang an verbunden. Sich diese Verbundenheit bewusst zu machen, ist ungeheuer wichtig im interreligiösen Dialog.
Worin besteht diese allgemein menschliche Religiosität genau?
Bruder David: Darin, dass wir als Menschen gar nicht umhinkönnen, uns mit dem großen Geheimnis des Lebens auseinanderzusetzen. Diese Beschäftigung kann man verschieben, solange man noch jung ist und andere Interessen hat. Aber für ein volles Menschenleben kann man nicht umhin, sich mit dem Warum, dem Was und dem Wie des Lebens auseinanderzusetzen. Warum gibt es uns überhaupt? Was schenkt uns das Leben und was verlangt es von uns? Wie sollen wir miteinander verbunden leben, um glücklich zu sein? Diese Grundfragen, die kein Mensch früher oder später umgehen kann, führen uns in das große Geheimnis hinein.
Was ist für Sie das große Geheimnis?
Bruder David: Es ist die letzte Wirklichkeit, die wir intellektuell nicht begreifen können, die wir aber verstehen können, wenn sie uns ergreift. Der Unterschied zwischen Verstehen und Begreifen ist wichtig. Beim Begreifen bekommen wir etwas intellektuell in den Griff; beim Verstehen sind wir selber ergriffen. Manche Menschen sind ergriffen, wenn sie in den Bergen wandern. Andere empfinden dies bei Musik oder Dichtung. Wir sind ergriffen, wenn wir verliebt sind, in Augenblicken, wenn jemand stirbt oder wenn wir mit unserem eigenen Tod konfrontiert sind. Was uns da ergreift, ist das große Geheimnis. Wir können es erleben, aber nicht begrifflich fassen. Wir können uns ihm sogar ganz persönlich verbunden fühlen. Unter diesem Aspekt wird das Geheimnis dann „Gott“ genannt. Ich verwende das Wort so selten wie möglich, weil es meistens nur Missverständnisse hervorruft, aber in diesem Zusammenhang hat es schon seinen Platz. Das große Geheimnis ist Gott, insofern wir mit ihm durch Rituale, Gebete oder inneren Dialog in Verbindung stehen.