Unter der Haut

 

Kaiserin Sisi hatte mindestens zwei, Gletschermumie Ötzi mehr als 60: Die Rede ist von Tätowierungen. Zumindest 5000 Jahre reicht die Tradition der Farbeinsprengungen unter die Haut damit also zurück. Ein Lokalaugenschein in einem Salzburger Tattoostudio.

 

Von Sandra Bernhofer

 

Heute würden Sisi und Ötzi mit ihren Verzierungen übrigens kaum auffallen. Zwischen 2012 und 2019 hat sich der Anteil der Tätowierten in der Gesellschaft nämlich verdoppelt. Inzwischen trägt jede:r Fünfte Körperkunst für die Ewigkeit. Bei den 20- bis 29-Jährigen ist sogar jede:r Zweite tätowiert. Es ist Ausdruck des Selbst, Tagebuch des Lebens: das Sternzeichen, der Hochzeitstag, der Herzschlag des Kindes sind gängige Motive. Ein Tattoo ist zugleich der sichtbare Beweis, dass man bereit ist, über Grenzen, über Schmerzgrenzen zu gehen. 

Einer, der das Handwerk, das unter die Haut geht, ausübt, ist Bernhard Leopold alias „Leo Salzburg“. Er führt das Naked Trust am Müllner Hügel in der Stadt Salzburg. Inzwischen ist es fast 27 Jahre her, dass der 52-Jährige das erste offizielle Tattoo- und Piercingstudio im Bundesland eröffnet hat, auf 35 Quadratmetern, noch in der Gstättengasse. „Damals war es alles andere als alltäglich, tätowiert zu sein“, sagt er. „Vielleicht hast du einmal Leute von irgendeinem Bikerclub gesehen, die Tattoos hatten. Aber das war es. Es war kein Massenphänomen wie heute.“ Lange galten Tätowierungen als Symbole der an den Rand der Gesellschaft Gedrängten: Seefahrer, Gefangene, Sexarbeiterinnen. Leo hatte in der Anfangszeit noch mit Vorurteilen zu kämpfen, die dank seiner Beharrlichkeit und seines künstlerischen Talents bald verschwanden. 

„Mein erster Tätowier-Versuch?“, überlegt er. „Der erste Tätowierer in Wien, bei dem ich lernte, damals noch recht Underground in dessen Wohnung, hatte einen Drachen auf der Brust. Das erste Mal hatte ich die Maschine in der Hand, als ich dort die Farbe nachgestochen habe. Das Ergebnis war sicher furchtbar“, lacht er. Tatsächlich ist das Tätowier-Handwerk eines, das viel Übung und viel Hintergrundwissen braucht: Drei Jahre lang bildet Leo seine eigenen Lehrlinge aus. „Es ist ein körperlicher Eingriff, da sollte man gut Bescheid wissen, gerade was die Hygienevorschriften angeht. Außerdem: Wie geht man mit dem Kunden um? Wie wirken die Farbtöne auf den unterschiedlichen Hauttypen? Wie sieht das Motiv aus, wenn es verheilt ist? Das sind Erfahrungswerte, die man sich nur über die Jahre aneignen kann und nicht innerhalb von zwei, drei Wochen.“ Die ersten Gehversuche mit der Tätowiermaschine machen seine Lehrlinge üblicherweise auf Melonen, die besonders viel Übungsfläche bieten. „Du musst sehr genau und sehr sauber arbeiten können, alle Sinne beisammenhaben. Denn wenn dir beim Tätowieren ein Fehler passiert, gibt es keinen Radiergummi“, gibt Leo zu bedenken.

Viele seiner Lehrlinge sind heute selbst erfolgreiche Tätowierer:innen, zum Teil noch im Naked-Trust-Studio, zum Teil selbstständig tätig. Leo und sein Studio können als Ursprung der Salzburger Tattoo- und Piercingszene bezeichnet werden. So lernten Eva Schatz vom Mint Club oder Balu von Custom Tattoos bei ihm.

Was ein:e gute:r Tätowierer:in mitbringen muss? „Du musst auf jeden Fall einfühlsam sein, sehr gut mit Menschen umgehen können. Du bist in diesem Prozess ja immer hautnah am Kunden“, sagt Leo. Eine gute Tätowierung bestehe immer 50/50 aus dem Kunden und dem Tätowierer. „Der Kunde hat meistens eine Vorstellung, der Tätowierer auch. Dass man da auf einen gemeinsamen Nenner kommt, ist ab und zu ein leichter Weg und ab und zu ein sehr langer, steiniger Weg. Das darf man nicht unterschätzen.“

Auch wenn sie alle Kriterien erfüllt: Als Lehrberuf offiziell anerkannt ist die dreijährige Ausbildung nicht. Das hält Tattookünstler Leo auch gar nicht für sinnvoll: „Du musst einem Kunden als Tätowierer auch glaubhaft dein Wissen vermitteln, ihn beraten können. Wenn du 15, 16 bist, selbst gar keine Tätowierung haben darfst, dann kannst du jemandem nicht aus erster Hand erklären, mit welchen Schmerzen er rechnen muss oder wie der Verheilungsprozess verläuft.“

Grafiker:innen, technische Zeichner:innen, Drucker:innen – jene, die sich für den Beruf interessieren, haben üblicherweise bereits zuvor in einem kreativen Feld gearbeitet. Auch Leos eigene Ausbildung war eine künstlerische: Er lernte Porzellanmaler in Wien, war acht Jahre in dem Beruf tätig. „Ich habe die Lehre angefangen, weil ich immer schon gerne zuhause gesessen bin und gezeichnet habe“, erzählt er. Über Umwege habe er dann einen Tätowierer kennengelernt, der jemanden suchte, der ihm Entwürfe und Vorlagen zeichnet. Leo ergriff diese Gelegenheit, wenig später nützte er die Möglichkeit, mit einem kleinen Koffer die Welt zu bereisen und überall arbeiten zu können. „Ich habe Orte besucht, wo Tätowieren traditionell verankert ist: Japan, Tahiti, Amerika. So habe ich auf der ganzen Welt die Kunst des Tätowierens von Top-Artists gelernt.“ Leos Stil ist heute vor allem durch den asiatischen Stil beeinflusst – bedingt durch seine Reisen und auch seine Ausbildung als Porzellanmaler, durch die er ebenfalls in Kontakt mit der asiatischen Kunst kam. „Ich sehe mich allerdings nicht als traditionellen Japan-Stil-Tätowierer. Meine Drachen, Kois und Geishas sind weit weg von ihren traditionellen Vorlagen.“ 

Es kostet Mut, Geld und Zeit, sich unter die Nadel zu legen. „Auch wenn ich ein Motiv schon 500-mal gestochen habe: Ich bin mir bewusst, dass das für den Kunden ein sehr besonderer Moment ist, etwas, das man auch nicht mehr so einfach rückgängig machen kann. Deshalb arbeite ich jedes Mal mit Vorsicht und Bedacht.“ Trends, weiß der Tattookünstler, wechseln mitunter extrem schnell. „Zurzeit sind eher Schwarz-Weiß-Sachen oder grafische Motive gefragt.“ Mit seinen Motiven läge auch Ötzi voll im Trend: Fast alle seine Tattoos sind parallele Linien, bis auf zwei Kreuzchen an Knie und Knöchel und zwei gestochene Armbändchen am Handgelenk.