Urlaubsreif? Immer!

 

Rund eine Viertelmillion Frauen in Österreich sind alleinerziehende Mütter. Sie leisten ein hohes Maß an unbezahlter Arbeit und sind psychisch nicht immer so stabil, wie es von außen scheint. Neben ihrer Armutsgefährdung und der ihrer Kinder sind durch Teilzeitarbeit auch im Alter ihre Einkommensaussichten oft nicht rosig. Von Politik und Gesellschaft fühlen sich viele unverstanden und erfahren zu wenig Wertschätzung für ihr Tun.

von Eva Daspelgruber

Nein, sie lässt sich heute Zeit und cremt ihren Sohn ganz langsam und gründlich ein. Dann kommen sie eben nach. Claudia hat aus ihren Fehlern im letzten Jahr gelernt. Auch da war sie mit vielen Eltern und Kindern übers Wochenende am großen Zeltplatz. Aber im Unterschied zu heute im Dauerstress. Sie wollte mithalten mit den anderen, dabei sein, als sich alle auf den Weg zum See machten. Zum Glück ist das jetzt Geschichte. Denn sie spaziert lieber allein mit ihren beiden Kindern über den Pfad, als diese Hektik noch einmal zu erleben. Bei den anderen war schließlich das Eltern-Kind-Verhältnis ausgewogen, denn da lagen die Aufgaben auf den Schultern zweier Elternteile. Aber sie war allein mit Tochter und Sohn gekommen. Und alles für einen Badetag herzurichten und zwei kleine Körper mit Sonnenschutz einzucremen, das dauert eben länger als bei Paaren, die zusammenhelfen können. Es ist besser für alle, wenn sie entspannt am See ankommt. Was war ihr nur damals durch den Kopf gegangen, als sie dachte, dass sie mithalten musste? Unverständlich aus heutiger Sicht.

Claudia ist eine von 250.000 alleinerziehenden Müttern in Österreich. Ihre Kinder sind vier und sechs Jahre alt und besuchten bis heute Mittag gemeinsam den Kindergarten. Ab September heißt es für „die Große“ dann ab in die Schule. Dann muss sie die Kinder an zwei verschiedenen Orten abliefern, bevor sie ins Büro fährt. Und danach auch wieder abholen. Aber das schafft sie, weil sie bis 12 Uhr arbeitet. Mittlerweile lehnt sie am Arbeitsplatz auch selbstbewusst Nachmittagstermine ab, ohne sich wie früher zu erklären und zu entschuldigen, dass sie leider nur am Vormittag im Büro sei. 

Sie denkt an ihre Freundin Barbara, die es nicht so gut erwischt hat wie sie. Barbara war Bäckerin aus Leidenschaft, musste aber ihren Beruf aufgeben, nachdem der Vater ihrer Töchter ausgezogen war. Die Arbeitszeiten in diesem Job sind für eine alleinerziehende Mutter schlicht unmöglich. Darum sucht sie jetzt eine neue Stelle und muss regelmäßig beim Arbeitsmarktservice vorstellig werden und begründen, warum sie diesen oder jenen Job nicht annehmen kann. Barbaras Mutter ist schon verstorben und ihr Vater traut sich nicht zu, auf die Mädels aufzupassen. Bis auf ihre Schwester steht sie ganz allein da. Auch finanziell ist es eng, da sie nur unregelmäßig Unterhaltsleistungen von ihrem Ex-Mann erhält und auch deren Höhe keine „großen Sprünge“ zulässt. Ein Sommerurlaub ist heuer leider nicht drin. „Armutsgefährdet“ ist das Wort, das ihre Situation beschreibt. 

Claudia sieht inzwischen ihren Kindern zu, wie sie am Ufer miteinander spielen. Sie liebt die beiden über alles, aber manchmal denkt sie, wie es wäre, wenn sie keine Kinder hätte. Sie schämte sich stets für diese Gedanken, vertraute sie niemandem an, denn die Gesellschaft würde sie dann als „undankbar“ abstempeln. Sie solle froh sein, dass sie zwei gesunde Kinder habe, andere würden keine bekommen können und alles dafür geben, an ihrer Stelle zu sein – das und noch mehr bekäme sie zu hören.

Über „Regretting Motherhood“ hat sie vor Kurzem gelesen. Unter dieser Überschrift schreiben Frauen, die es bereuen, Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Keinesfalls würde das die Liebe zu ihrem Nachwuchs schmälern, das ist in der Diskussion wichtig. Nur die Mutterschaft an sich bereuen die Frauen, die sich da zu Wort melden. Die Gründe sind dabei so verschieden wie die Frauen selbst: von Überlastung durch Beruf und Kinderbetreuung bis hin zu Einbußen in der persönlichen Freiheit. Für Claudia waren diese Wortmeldungen anderer Mütter wichtig, weil sie nun weiß, dass sie mit ihren Gedanken nicht allein ist und sich nicht dafür schämen muss.

Schade nur, dass es in unserer Gesellschaft tabu ist, offen darüber zu sprechen. Schließlich wird keine Frau als Mutter geboren. Es ist eine Rolle, eine Arbeit, die nicht nur Sonnen-, sondern auch ihre Schattenseiten hat. Denn wer wünscht sich, jede Nacht mehrmals aus dem Schlaf gerissen zu werden und ein Baby zu füttern? Wer hat schon immer davon geträumt, das Bett um zwei Uhr morgens frisch zu beziehen, weil der Nachwuchs sich darin übergeben hat? Wohl niemand. Wie oft hat Claudia den Vater ihrer Kinder früher darum beneidet, dass er Vollzeit im Büro arbeitet? Eine Tätigkeit, bei der man durchgehend sauber bleibt, allein auf die Toilette gehen kann und – vor allem – eine Mittagspause hat! Stattdessen saß sie im fleckigen T-Shirt unausgeschlafen am Wohnzimmerteppich und stapelte mitten im Chaos bunte Bausteine. „Genieß die Zeit mit deinem Baby“, meinte die Mutter ihres Freundes. Ja, eh.

Bis vor einer Woche war sie noch nicht sicher, ob sie überhaupt hierher zum Camping fahren kann. Erst hatte ihr Sohn die Windpocken und sie verbrachte viele Tage mit ihm in der abgedunkelten Wohnung, da Schwitzen nicht gut für ihn wäre und Sonne schon gar nicht. Als sie dann dachte, die Dose mit dem Puder gegen den Juckreiz endgültig in den Schrank stellen zu können, wusste sie nicht, dass sie nur zwei Wochen „Schonfrist“ bekommen würde, bis sich bei ihrer Tochter die ersten Pünktchen einstellten. Ihr Pflegeurlaub war da bereits aufgebraucht und ihre Tochter musste die Krankheit auf Omas Sofa überstehen. Zwei Wochen pro Jahr sind bei zwei Kindern auch eindeutig zu wenig, hatte sie gedacht. Ihr Kollege und seine Frau, die Eltern von einem einzigen Kind sind, verfügten jeweils über zwei Wochen Pflegefreistellung, also das Vierfache von ihr. 

Aber jetzt ist sie mal auf Kurzurlaub hier am See und hat die beiden immer im Blick. Im August, wenn der Kindergarten geschlossen ist, hat sie Urlaub und sie fahren mit einer ihrer Bekannten und deren Tochter nach Italien. Richtig ausruhen wird sie sich dort auch nicht können, aber sie freut sich auf Pizza und Meer. Und wenn sie wieder daheim sind, hat der Papa der beiden zwei Wochen frei und Claudia muss wieder zurück an den Schreibtisch. 

Das ist dann ihr eigentlicher Urlaub, denkt sie. Sie arbeitet zwar dann mehr Stunden, um ein Zeitguthaben aufzubauen, muss sich aber nach dem Heimkommen um niemanden als um sich selbst kümmern. Sie möchte Sport treiben, ins Kino und ins Theater gehen, Freundinnen treffen und ungefähr hundert Bücher lesen. Wenn sie ganz ehrlich ist, ist das die Zeit, auf die sie sich das ganze Jahr über freut. Eine Zeit ohne Verpflichtungen. Essen, wann und was sie möchte, nach der Arbeit tun, wonach ihr ist – ohne Rücksicht auf irgendwen. Herrlich!

Aber vermissen wird sie ihre kleinen Schätze schon bald. Das weiß sie. Und sie weiß auch, dass sie ihre Tochter und ihren Sohn über alles liebt. Darum steht sie jetzt auf, geht zum Wasser und sagt ihren beiden Lieblingsmenschen, die da unten um die Gießkanne streiten, dass sie sie sehr lieb hat. Lieber als alles andere auf dieser Welt – inklusive ihrer Freiheit.